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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Phasen bekannten sich die Menschen zum Kommunismus – einfach, weil es schrill war, einfach, weil man dann Mummy und Daddy eine Nase drehen konnte. Solche Menschen lassen sich nie ein Parteibuch ausstellen. Viele »Kommunisten« hatten keine Ahnung vom echten Kommunismus. Ich erinnere mich an ein Mittagessen mit einem prominenten Filmemacher, der laut die Vorzüge des Kommunismus und der Sowjetunion pries, sich selbst als Kommunisten bezeichnete und mich fragte, ob es wahr sei, dass ein Kommunist Atheist sein müsse. Als ich ihm sagte, dass es etwas gebe, das sich dialektischer Materialismus nenne, meinte er, seiner Meinung nach sollten die Menschen nicht nur um ihr materielles Wohlergehen besorgt sein. Diese Art von Ignoranz war typisch für die Modekommunisten.
    Gottfried war entmutigt, deprimiert. Er erkrankte an Gelbsucht und konnte nicht arbeiten. Während dieser Zeit war die Beziehung zwischen uns beiden hervorragend. Er sah sein Kind häufig, und ganz besonders dann, als ich mir kurz nach meiner Ankunft das Schlüsselbein brach. Er bekam ein Visum, mit dem er seine Schwester und ihren Mann – »den ewigen Studenten« – besuchen konnte, der inzwischen im kommunistischen Teil Berlins beim Kulturbund arbeitete. Als Gottfried zurückkam, war er in Hochstimmung, sein ganzer Optimismus war wieder da. Er sagte, er wolle in Berlin leben, und er wolle, dass ich mit ihm komme. Das machte mir Angst: Noch nie, noch kein einziges Mal hatten wir davon gesprochen, weiter zusammenzuleben. Er meinte: »Sie leben sehr gut da drüben. Sie haben schöne Wohnungen und Autos und Chauffeure.« Gleichzeitig amüsierte er sich aber auch wegen ihrer übertriebenen Ängstlichkeit. »Sie sind verrückt«, sagte er. »Sie bilden sich ein, dass unter den Betten Spione liegen, und sie haben mir verboten, im Auto etwas zu sagen, weil es der Chauffeur hätte hören können.« Als er sie deswegen ausgelacht hatte, entgegneten sie ihm, er habe zu viel Zeit im Westen verbracht, um das verstehen zu können.
    Nun stellte er einen offiziellen Antrag an die ostdeutsche Regierung, in dem er darum bat, als Staatsbürger in das Land zurückkehren zu dürfen. Nichts geschah. Er stellte einen zweiten Antrag. Keine Reaktion. Er konnte das einfach nicht verstehen. »Natürlich haben sie unendlich viele Schwierigkeiten, das darf man nicht vergessen.«
    An diesem Punkt tauchte Moidi Jokl auf, die in mancherlei Hinsicht einen ziemlich erstaunlichen Einfluss auf mein Leben ausübte, aber ich werde mich hier auf den Einfluss beschränken, den sie auf Gottfried hatte. Vor dem Krieg war sie in Wien eine bekannte Persönlichkeit. Als sehr junge Frau, eigentlich noch als junges Mädchen, hatte sie ein Radioprogramm gestaltet, das für die damalige Zeit einzigartig war. Sie redete, sie sang, sie machte Witze, sie riss Possen, sie brachte sich selbst in einer Form ein, mit der sie ein sehr großes Publikum gewann: Es war ein Wettkampf zwischen dieser neuen Sache, dem Radio, und ihrem Temperament. Natürlich war sie Kommunistin. Vor dem Krieg hatte sie den deutschen Kommunisten sehr nahegestanden. Die lebten damals von der Hand in den Mund, hielten sich versteckt, waren auf der Flucht oder befanden sich in der Sowjetunion, ganz bestimmt aber waren es »Tote auf Urlaub« – die dann später die Regierung in Ostdeutschland stellen sollten. Sie ging nach Ostdeutschland, um dort zu leben. Dann kamen »die finsteren Jahre«, in denen Stalins Säuberungsaktion gegen die Juden in der gesamten Sowjetunion und in den kommunistischen Satellitenstaaten durchgeführt wurde. Sie wurde zusammen mit Dutzenden anderer Juden aus Ostdeutschland hinausgeworfen. Der junge Polizist, der sie zur Grenze brachte, war in Tränen aufgelöst und sagte: »Wenn man Menschen wie Sie aus dem Land jagt, dann ist hier irgendetwas ganz schön faul.« Vielleicht war er einer von denen, die tanzten, als dreißig Jahre später die Mauer fiel. Sie war damals in London eine der Ersten, die vor dem Kommunismus geflohen waren, aber die Stadt war zu jenem Zeitpunkt sowieso voll von Flüchtlingen, die es aus den unterschiedlichsten Gründen hierher verschlagen hatte. Sie lebten, so gut es ging, und nur Gott weiß, wie sie sich am Leben hielten; manchmal wohnten sie zu zehnt oder noch mehr in einem Zimmer, oder sie schliefen auf Sofas in den Wohnungen von Freunden und zogen um, wenn deren Gastfreundschaft erschöpft war: Sie verdienten sich ihren Lebensunterhalt mit Übersetzen, mit Kleidernähen, mit

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