Unter der Haut (German Edition)
nach Ostafrika waren, wo sie dann die »große Erdnusskatastrophe« miterleben sollten. Einer der beiden jungen Ehemänner starb dort ein Jahr später an Malaria. (Das, was als »große Erdnusskatastrophe« in die Geschichte einging, war ein Programm, das etliche Millionen Pfund kostete und schon in den Anfängen scheiterte. Mit dem Ergebnis, dass am Rand der Felder, die rasch wieder von Unkraut und jungen Bäumen überwuchert wurden, reihenweise für die damalige Zeit außerordentlich fortschrittliche landwirtschaftliche Geräte zurückblieben und vor sich hin rosteten. Anscheinend hatte sich niemand die Mühe gemacht, den Rat der vor Ort lebenden Menschen einzuholen.) Doch damals in Kapstadt schäumten die vier nur so über von Idealismus. Die englischen Kriegsbräute waren tapfer und nervös zugleich. Manche warteten schon seit Jahren auf einen Platz auf einem Schiff, und nun stand ihnen das Zusammentreffen mit ihrem Mann oder ihrem Verlobten bevor, den sie das letzte Mal zu Kriegszeiten in Großbritannien gesehen hatten. Manche hatten kleine Kinder. Zweimal während dieser sechs Wochen kamen englische Frauen, die per Schiff eingetroffen waren, in die Pension, während sich andere auf die endlosen Zugreisen nach Nordrhodesien, Südrhodesien und Njassaland vorbereiteten. Erst damals wurde mir so richtig klar, welches Glück ich doch hatte, dass ich in Afrika und nicht im britischen Mutterland aufgewachsen war. Diese Frauen kamen mir ungebildet, naiv und engstirnig vor. Ich spürte eine Art Beschützerinstinkt – als wären sie Kinder. Doch das Entscheidende war etwas anderes: Das, was sie wussten und was sie bisher getan hatten, war unmittelbarer Ausdruck ihrer Klassenzugehörigkeit. Selbst in dieser Pension, an einem Ort, wo man eine Verbrüderung sicher leicht hätte entschuldigen können, separierten sich die mit Offizieren verheirateten Damen von den Frauen, die mit Männern aus den Mannschaftsrängen verheiratet waren – genau wie bei Kipling. Die Frauen aus der Mittelschicht und ein, zwei Angehörige des niederen Adels saßen, dicht zusammengedrängt und Abwehr signalisierend, auf der einen Hälfte der Veranda und senkten ihre hohen, herrischen Stimmen um ein Dezibel, wenn sie unfreundliche Kommentare über die Kinder der unteren Schichten abgaben. Sie wurden von Menschen beobachtet, die sich fragten – und weder zum ersten- noch zum letzten Mal mit diesem Phänomen konfrontiert waren –, welches Bild diese Frauen von sich haben mussten, damit sie dermaßen überheblich sein konnten. Keine einzige von ihnen wäre fähig gewesen, auch nur fünf Minuten lang eine Unterhaltung mit Angehörigen der Arbeiterklasse oder der unteren Mittelschicht zu führen (tut mir leid, aber das ist Großbritannien), also mit Menschen, die das Produkt einer inzwischen leider untergegangenen – vom Fernsehen zerstörten – Kultur waren: der Arbeitercolleges, der sozialistischen, liberalen, kommunistischen und pazifistischen Studiengruppen, der Sommerschulen, Abendschulen, Literaturgruppen. Mit Menschen, die zu den Vorträgen und Studienkursen in Salisbury und Bulawayo gekommen waren. Und trotzdem hätten sie die mit Herablassung behandelt. Ich schaute mir das Ganze an und schwor mir: »Ich nicht, ich nicht!« Ich wollte um jeden Preis verhindern, dass ich mich jemals auf dieses Klassenspiel einließ. Nur wenige Jahre später steckte ich bis zur Halskrause darin fest. Und schrieb eine Buchbesprechung für die
John O’London’s Weekly
, in der ich die unschuldige Bemerkung machte, dass England genauso im Kastendenken erstarrt sei wie Indien – worauf ich mit Briefen überschüttet wurde, in denen es hieß, dass es in England kein Klassensystem gebe. Alle Verfasser waren Angehörige der Mittelschicht. Nur wenige Jahre später saß ich zur Zeit des großen Ford-Streiks in einem Londoner Gerichtssaal und beobachtete, wie sich ein Flegel von einem Richter über den Akzent und die Grammatik eines der Streikführer höhnisch lustig machte und diesen absichtlich demütigte. Während ich das hier schreibe, bringen abfällige Bemerkungen über unseren momentanen Premierminister, der aus der Arbeiterklasse stammt, über seine Frau und über den volkstümlichen Geschmack der beiden frischen Wind in unsere Zeitungen. Ja, klar, wir sind nicht das einzige Land mit hochnäsigen Menschen, aber ist es wirklich denkbar, dass es noch ein anderes gibt, das dieses erbärmliche Spielchen um standesgemäß oder nicht standesgemäß
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