Unter der Haut (German Edition)
von den Männern in Südafrika gewesen, die – wie Solly Sachs – das besondere Klima in der letzten Phase vor der Machtübernahme durch die Nationalisten genutzt hatten, um die schlecht bezahlten Arbeiter – Inder, Farbige und Weiße zusammen – gewerkschaftlich zu organisieren. Aus Ilses Ehe mit Dadoo war eine kleine Tochter hervorgegangen. Ilse weigerte sich, ein halb indisches Kind im faschistischen Südafrika großzuziehen, und ging in die Heimat zurück. Dort lernte sie Gottfried kennen. Sie heirateten, ich vermute, wegen ihrer gemeinsamen afrikanischen Vergangenheit. Die beiden müssen sich in den grauen Wassern der DDR als sehr bunte Fische gefühlt haben. Gottfried war Ilses Tochter ein liebevoller Stiefvater, genau wie er Peter ein liebevoller Vater gewesen war. Und dann geschah etwas, das schwer zu erklären ist, das heißt, wenn man die Dinge aus einem gewöhnlichen Blickwinkel betrachtet, ohne kommunistische Paranoia: Gottfried wurde seines Amtes enthoben und zu einem Jahr kommunistischer Umerziehung verurteilt. Warum ausgerechnet er? Konnte man sich einen loyaleren Kommunisten vorstellen? Aber er war von westlichem Denken verseucht und hatte eine gründliche Gehirnwäsche nötig. Danach ging er nicht wieder in den Handel, jedenfalls nicht direkt. Er wurde nach Indonesien entsandt, als Diplomat, obwohl die DDR nicht als unabhängiger Staat anerkannt war; dort war er für den Außenhandel zuständig. Er hatte wohl einigen Einfluss auf die Politik vor Ort. Dann wurde er krank: Das Klima und das Essen machten seiner Leber zu schaffen. Er kehrte nach Ostdeutschland zurück. Bald darauf wurde er nach Tansania geschickt. In Ostafrika war er ein bekannter Mann, der mehr als bloß regionalen Einfluss hatte. Diese beiden, Gottfried und seine Frau, waren dort am richtigen Ort. Leute mit ihren Afrikakenntnissen müssen damals im kommunistischen Deutschland eine Seltenheit gewesen sein. Das, was ihre Position heikel machte, war gleichzeitig das, was sie für die DDR wertvoll machte. Man hatte in ganz Europa keine Ahnung vom südlichen Afrika. Wenn ich in meinen ersten Jahren in England zu sagen versuchte, dass Südafrika und Südrhodesien keine glücklichen Länder voller lächelnder und zufriedener Schwarzer seien, wurde mir und auch anderen, die meine Meinung teilten, vorgeworfen, dass wir übertrieben oder verbohrt seien. In den fünfziger Jahren, als ich mich bemühte, prominente Abgeordnete der Labour Party über die Situation in Südrhodesien aufzuklären, das man damals im Großen und Ganzen für ein gutes und gerechtes Land hielt, schlicht und einfach, weil es eine britische Kolonie war – wenn man denn überhaupt je davon gehört hatte –, dann wussten diese Politiker buchstäblich nicht, wo es lag, oder glaubten, dass es entweder zu Südafrika oder Nordrhodesien gehörte.
Es gibt eine lebendige Momentaufnahme von Gottfried und Ilse in Daressalam. Ein Freund von mir, der auch ein Freund von Gottfried war, ein prominenter afrikanischer Politiker, schaute eines Abends zu später Stunde unangemeldet bei ihnen herein – in Afrika achtet man nicht so auf Förmlichkeit. Auf sein Klingeln folgte eine lange Stille, er hörte ängstliche Stimmen, dann kam Gottfried, offensichtlich in panischer Angst, an die Tür, während seine Frau hinter ihm Wache stand und dem Freund mit Handzeichen bedeutete, dass er vorsichtig sein solle. Als mein Freund, noch draußen auf der Schwelle, Gottfried deswegen neckte, machte auch der ihm Zeichen, dass sie abgehört würden, und riss ebenfalls laute Witze, während seine Frau – für die Mikrofone – laut mit dem Besucher schimpfte, wie gedankenlos und rücksichtslos es von ihm doch sei … »Aber wir sind in Afrika«, protestierte mein Freund, »dies hier ist Afrika.«
Unterdessen leistete Ostdeutschland in verschiedenen afrikanischen Staaten Beraterdienste für den Bau von Strafanstalten, den Aufbau von Geheimdiensten und Foltersystemen sowie die Ausbildung von Spitzeln nach kommunistischem Vorbild. Eines der Länder war Somalia. Ein anderes Uganda.
Später wurde Gottfried Botschafter in Kampala. Dorthin ging er mit seiner dritten Frau, Margot, nachdem Ilse, vom Kommunismus desillusioniert, gestorben war. Wahrscheinlich war diese dritte Frau die erste Ehefrau, die er wirklich liebte. Bilder von ihr erinnern mich an seine lustige Witwe aus Wien. Sie sieht aus wie eine warmherzige, freundliche, sympathische Frau. Sie war keine Intellektuelle und ganz sicher
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