Unter der Haut (German Edition)
nicht politisch interessiert. Die Partei war gegen die Heirat, sie empfahl ihm, eine Frau zu nehmen, die heutzutage als politisch korrekt zu bezeichnen wäre. Er musste sich gegen die Partei durchsetzen – und das kann ihm nicht leichtgefallen sein.
Die sowjetische »Linie« befahl die Unterstützung des Schlächters Amin. Sie standen ihm bis unmittelbar vor seiner Flucht bei. Das bedeutete, dass sich auch die DDR hinter ihn stellen musste. Nach Amins Flucht marschierten die Tansanier ein, um die Ordnung wiederherzustellen. Das Personal sämtlicher Botschaften hatte einige Tage zuvor das Land verlassen, im Konvoi auf der nach Kenia hin offenen Straße. Alle mit Ausnahme des irakischen Botschafters und der Ostdeutschen – Gottfrieds, seiner Frau und zweier Mitarbeiter. Am Abend vor dem Einmarsch der tansanischen Truppen rief Gottfried den Botschafter Iraks an, der ein persönlicher Freund von ihm war, und schlug vor: »Sollen wir morgen zusammen über die offene Straße nach Kenia aufbrechen?« Der erwiderte: »Bist du wahnsinnig? Bist du verrückt, man hat uns streng befohlen, im Haus zu bleiben, die Türen zu verrammeln und die Köpfe nicht am Fenster sehen zu lassen.« Am nächsten Morgen setzte Gottfried seine Frau und seine beiden Mitarbeiter ins Auto und fuhr mit ihnen geradewegs zu dem Platz, auf dem die tansanischen Truppen betrunken und schießwütig lagerten. Sie schossen auf alles, was sich bewegte. Sie richteten Flammenwerfer auf das Auto. Das alles erfuhr ich von Tony Aberfan vom
Guardian
, der sich damals in Kampala aufhielt, und von ostafrikanischen Freunden, die Erkundigungen eingeholt hatten. Die ostdeutschen Kommunisten brachten in Berlin eine Gedenktafel mit vier Namen über einem »Grab« an, das ohne Inhalt sein musste.
Gottfried mag alles Mögliche gewesen sein, aber dumm war er nicht. Die Geschichten, die sich Leute ausgedacht haben, um dieses fahrlässige Verhalten zu erklären, stellen James Bond in den Schatten. Leute, die die DDR gut kannten, meinten, es sei offensichtlich, dass hier der KGB seine Finger mit im Spiel gehabt habe. Es war eine Zeit, in der mehrere Ostblockdiplomaten auf rätselhafte Weise ums Leben kamen. Gottfried war beim KGB . So lautete das Gerücht. Jahrelang habe ich das nicht geglaubt und immer gesagt, dass ich es für äußerst unwahrscheinlich hielte. Aber in Wirklichkeit wollte ich es bloß nicht wahrhaben. Dann wurde es eindeutig bestätigt. Von wem? Von meinem Sohn John Wisdom, der gute Freunde bei der südrhodesischen Geheimpolizei hatte. (Diese Leute arbeiteten für die schwarze Regierung weiter. Die Tatsache, dass so etwas möglich ist, kann nur als ein weiteres Zeichen für den heute allgemein herrschenden Wahnsinn interpretiert werden.) John wollte mehr über Gottfried Lessing, den zweiten Mann seiner Mutter, wissen und war durch seine Verbindungen zur Geheimpolizei in Simbabwe in der Lage, Kontakt zu einem Mitglied der südafrikanischen Geheimpolizei aufzunehmen. Dieser Mann behauptete, Gottfried sei beim KGB gewesen und habe nicht nur in Ostafrika weitreichenden Einfluss gehabt. Wahr oder unwahr? Wer weiß, es ist so ein weites, schmutziges, düsteres Feld. Weggefährten von ihm, die ihn aus seiner ostdeutschen Zeit kannten, können es sich nicht vorstellen – einfach, weil er ein gutes Herz hatte, weil er keiner von denen war, die sich der KGB in der Regel sucht. Sie berichten bewegt davon, dass man von ihm gesagt habe: »Gottfried Lessing ist kein Kommunist, er ist ein richtiger Mensch, er ist gütig und großzügig und gut zu Leuten, die in Not sind.«
Er war mit Sicherheit lange Kommunist, viele Jahre lang. Die Partei war für ihn, wie für andere bestimmte Typen von Menschen, eine Art absolute Gewalt, ein Gott. Psychologen behaupten, es gebe Menschen, die nicht imstande sind, sich von einem einmal angenommenen Glauben je wieder zu lösen. Sie tun es nie. Zeitlebens nicht. Ihr Verstand ist in Beton gegossen, ein für alle Mal.
Doch Moment mal … ein Mann, der weiß, dass die Partei immer recht hat (auch wenn sie nicht recht hat, wobei es sich natürlich nur um einen kleinen, vorübergehenden Ausrutscher handelt), ein Mann, der der Partei gehorcht wie seinem eigenen Gewissen – ein solcher Mann setzt sich nicht gegen die Partei durch, um eine Frau zu heiraten, die unerwünscht ist und als Bedrohung gilt. Also gibt es doch eine wahrhaft schreckliche Möglichkeit: Angenommen, er war kein hundertprozentiger Kommunist mehr, angenommen, der Beton
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