Unter der Haut (German Edition)
Jugendliche und bewegte sich in Kreisen, in denen auch Personen des öffentlichen Lebens verkehrten. Es stellte sich also die Frage nach der angemessenen Form, um aus dieser Zeit zu berichten – und wie Doris Lessing in ihrer Vorbemerkung zu
Ein süßer Traum
erläutert, entschloss sie sich mit Rücksicht auf jene noch lebenden Weggefährten, auf das Fortschreiben der Autobiografie zu verzichten und das Erlebte im Roman zu gestalten. In diesem Fall nutzt sie also die Form des Romans, um Geist und Atmosphäre einer Zeit wiederzugeben, ohne bestimmte Personen zu porträtieren oder auf Begebenheiten am Rand ihres tatsächlichen Lebenswegs zurückzugreifen.
Auch in früheren Jahrzehnten finden sich in Doris Lessings Werk Erscheinungsformen autobiografischen Schreibens. Zum einen beleuchten autobiografische Texte bestimmte Episoden, Aspekte oder Personenkonstellationen aus ihrem Leben, zum anderen ziehen sich durch ihr Werk Begebenheiten und Motive aus ihrem Leben, die sie in Romanen und Erzählungen immer wieder als Material verarbeitet hat.
Eine der frühesten autobiografischen Betrachtungen trägt den Titel
Auf der Suche
und erschien 1960 , als Doris Lessing schon seit zehn Jahren in London lebte. Der Untertitel lautet »Eine Dokumentation« – und durchaus im dokumentarischen Stil setzt die Autorin an, um von ihren Erfahrungen in London zu berichten. Dabei nimmt sie die Haltung einer aus den Kolonien zurückgekehrten Engländerin ein, die ihr Herkunftsland kaum je gesehen hat und nun die fremden Landsleute ergründen will. Doch die autobiografische Dokumentation gerät bald zum erzählerischen Feuerwerk, und
Auf der Suche
nimmt romanhafte Züge an. Als Doris Lessing viele Jahre später über ihr autobiografisches Schreiben nachdenkt, sagte sie über dieses Buch: »Es hat ziemlich viel mit einem Roman gemein. Nicht, dass es nicht wahr wäre – es ist durchaus wahr, abgesehen von einigen Änderungen, die vorgenommen wurden, um dem Vorwurf der Verleumdung zu entgehen. Es ist eher eine Frage von Ton und Tempo. Das Buch besitzt die Atmosphäre eines Romans.« Es kommt also nicht nur vor, dass erlebte Atmosphäre im Roman gestaltet wird – auch die Atmosphäre des Romans kann die Gestaltung des tatsächlich Erlebten durchdringen.
Eine weitere, ganz andere Form autobiografischen Schreibens findet sich im Roman
Die Memoiren einer Überlebenden
von 1974 , den Doris Lessing in der ersten Ausgabe mit dem Untertitel »Versuch einer Autobiografie« versehen und im Interview als ihre »Fantasie-Autobiografie« bezeichnet hat. Wie die Autorin hier und da in Essays und Interviews erwähnt, hat sie sich lange Zeit mit dem Gedanken getragen, eine aus Träumen bestehende Autobiografie zu schreiben, dieses Projekt aber schließlich verworfen, weil es ihr zu gekünstelt erschien. Doch die Idee, mithilfe von Material aus der Welt des Geistes und der Vorstellung einen autobiografischen Text zu gestalten, ging nicht verloren, denn sie fand ihren Niederschlag in einem Roman – in
Die Memoiren einer Überlebenden
. Anstatt also die Geschichte eines Lebens vermittelt durch die Träume dieses Lebens zu erzählen, nutzt Doris Lessing in
Die Memoiren einer Überlebenden
Traum, Metapher, Allegorie und Symbol als gestalterische Mittel, weil diese, wie sie an anderer Stelle und nicht zuletzt in
Unter der Haut
ausgeführt hat, die Darstellung der Wirklichkeit ergänzen und so eine allumfassende Vision der Vergangenheit bieten, in diesem Falle der Vergangenheit der Erzählerin.
Zwei weitere (auto)biografische Texte hat Doris Lessing über ihre Eltern geschrieben. 1963 porträtiert sie – wie später auch in
Unter der Haut
– auf liebevolle Weise ihren vom Ersten Weltkrieg gezeichneten Vater, der mit seiner Familie zunächst nach Persien und schließlich nach Afrika ging, um dort sein Glück zu machen. Die beiden Skizzen, die Doris Lessing in den achtziger Jahren über ihre Mutter schrieb, erzählen hingegen die Geschichte ihres jahrzehntelangen Konflikts mit dieser unglücklichen Frau, die für die Kindheit und das Erwachsenenleben ihrer Tochter noch in der Abgrenzung bestimmend war. Doris Lessings Erinnerungen an das Leben ihrer Mutter sind so persönlich wie schmerzlich, aber sie schreibt darüber, ohne je in den Ton der Abrechnung zu verfallen.
Auch auf der Ebene der Fiktion, in Doris Lessings Romanen und Erzählungen, finden sich immer wieder autobiografische Motive, die als Material für die literarische
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