Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
angefertigte- Bücherschrankwand, die ein Vermögen gekostet haben musste, was sicherlich auch auf die zahlreichen hinter Glas befindlichen Bücher zutraf.
Leng hoffte inständig, Seamus würde ihnen die üblichen Bemerkungen wie „Was führt Sie zu mir? Habe ich etwa falsch geparkt?“ ersparen, denn das wäre für Prado ein will-kommener Anlass, aus der Haut zu fahren, obwohl solche oder ähnliche Bemerkungen erklärbare Reaktion auf den Besuch der Polizei waren, durch den sich die meisten Menschen verunsichert und eingeschüchtert fühlten.
„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“ fragte der junge Mann stattdessen und nicht im Mindesten beeindruckt von seinen Besuchern. „Ich habe gerade frischen gemacht.“
Leng nahm das Angebot gerne an, während Prado, der schließlich, wenn auch zögernd, ebenfalls zustimmte, sich eine Frage nicht verkneifen konnte. „Interessiert es sie gar nicht, warum wir hier sind?“
Seamus lächelte. „Sie werden es mir sicherlich gleich sagen. Im Übrigen verstehe ich es, meine Neugierde zu zügeln.“
Der Kommissar sah ihn entgeistert an. „Warum haben Sie am Donnerstagnachmittag Dr. Burghausen aufgesucht?“
„Sind Sie etwa deshalb hier? Das kann ich einfach nicht glauben. Anstatt zu seiner Verantwortung zu stehen, ruft er die Polizei, nur weil ich ein wenig laut geworden bin. Aber Moment einmal. Haben Sie mir nicht vorhin gesagt, Sie seien von der Kriminalpolizei? Was hat die denn damit zu tun?“
„Worum ging es denn bei Ihrem Streit?“ wollte Leng wissen.
„Bin ich überhaupt verpflichtet, Ihnen das mitzuteilen?“
„Sie können sich auch weigern.“ Prado schaffte es einfach nicht, seine Unfreundlichkeit zu zügeln. In dem Falle wären Sie allerdings auf unserer Täterliste die uneingeschränkte Nr. 1.“
„Täterliste?“ rief Seamus erstaunt. „Was reden Sie denn da bloß?“
„Dr. Burghausen ist in der vergangenen Nacht ermordet worden“, erklärte Leng ihm ruhig. „Deshalb müssen wir Ihnen einige Frage stellen.“
„Was?“ Er sah den Hauptkommissar überrascht an. „Fragen Sie. Natürlich werde ich Ihnen alles sagen, was für Sie wichtig ist.“
„Warum waren Sie in der Praxis?“
„Jetzt verstehe ich erst. Sie glauben, der Streit hätte etwas mit dem Mord zu tun. Das ist absurd.“
„Beantworten Sie einfach nur meine Frage.“
„Stört es Sie, wenn ich mir eine anstecke? Ich habe vor zwei Jahren mit den Rauchen aufgehört, aber hin und wieder, vor allem in Stresssituationen, kann ich mich dann doch nicht bremsen.“
„Sie wohnen hier“, stellte Leng sachlich fest. „Sie können in Ihrer Wohnung tun und lassen, was Sie wollen.“
„Danke.“ Seamus wirkte geistesabwesend. Er steckte sich eine Zigarette an, zog dreimal daran und drückte sie dann wieder im Aschenbecher aus. „Damit Sie den Streit verstehen, muss ich etwas weiter ausholen und in die Vergangenheit zurückgehen.
Vor zwölfeinhalb Jahren verbrachte ich mit der Familie Burghausen, also mit dem Doktor, seiner Ehefrau Klara und den beiden Kindern Stefanie und Sven einige Wochen im Haus meiner Eltern an der Algarve in Portugal. Sven und ich besuchten dieselbe Klasse des Blücher-Gymnasiums in Nippes. Er war ein ausgezeichneter Violinist und wäre bestimmt ein anerkannter Musiker geworden.
Ein Jahr davor hatten wir uns ineinander verliebt, eine Jugendliebe, von der keiner wusste, ob sie die Jahre überdauert hätte. Eines Abends saßen wir oben auf den Felsen, die gleichzeitig die Grundstücksgrenze markierten, als Sven mir gestand, er habe ein Lied für mich komponiert, ein Liebeslied, welches er mir am nächsten Tag in Abwesenheit seiner Eltern vorspielen wollte. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen, weil sein Vater uns an jenem Abend in inniger Umarmung entdeckte. In meiner Panik lief ich davon, weshalb ich bis auf den heutigen Tag von Schuldgefühlen geplagt werde. Immer wieder stellte ich mir in den zurückliegenden Jahren die Frage, ob mein Freund noch lebte, wenn ich geblieben wäre.
Während ich weglief, konnte ich die zornige Stimme seines Vaters hören, und als ich mich Stunden später wieder ins Haus wagte, traf ich dort niemanden an. Später sollte ich erfahren, dass Sven von den Klippen gestürzt und gestorben war. Obwohl ich nicht dabei gewesen war, hatte ich immer angenommen, Walter Burghausen sei Schuld am Tod seines Sohnes. Ich unterstellte ihm keinen Mord, aber auch bei einem Unglück wollte ich von ihm ein Bekenntnis. Was ich ihm immer übel nahm,
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