Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
stürze mich von einem Abenteuer ins nächste, aber es ist immer nur mein Körper beteiligt; mein Herz muss mit Sven begraben worden sein.“
Seamus sah Leng an, so als ob er nur ihm Kompetenz und Urteilungsvermögen zutraute. „Wissen Sie, es hätte gar keinen Grund für mich gegeben, Burghausen umzubringen. Meine Waffen sind Federkiel und geschliffene Worte, um Hieronymos Bonk zu zitieren, einen weithin unbekannten niederländischen Reiseschriftsteller des 19. Jahrhunderts.“
„Trotzdem müssen wir von Ihnen wissen, wo Sie den gestrigen Abend verbrachten?“ Leng war diese Bemerkung sichtlich unangenehm, denn für ihn sollte der Mörder an anderer Stelle gesucht werden. Sie hatten es hier nicht mit einem beliebigen Überfall und einem zufälligen Opfer zu tun, sondern mit einem Mord, dem Planung vorausging, Planung, die zur Ausführung kam, weil das Problem tief verwurzelten Hasses nicht beseitigt werden konnte. Einen solchen Hass konnte er bei Alexander Seamus nicht ausmachen.
„Für welche Zeit benötige ich denn ein Alibi?“
„Für die Zeit zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens.“
„Dann habe ich ein Problem“, sagte er lächelnd, fast ein wenig schüchtern. „Gestern aß ich mit meinem Mieter unter mir und dessen Freund zu Abend. Kurz vor Mitternacht ging ich dann zurück in meine Wohnung, da ich wusste, dass die beiden heute Morgen zur Arbeit mussten. Außerdem hatte ich einige Gläser Rotwein getrunken und fühlte mich müde. Kann sein, dass mich die beiden noch eine Weile gehört haben, bis ich endlich im Bett lag.“
„Ich möchte mich bei Ihnen für die Auskünfte bedanken, die Sie uns gegeben haben“, sagte Leng in einer für ihn untypischen, fast übertrieben wirkenden Freundlichkeit. „Und vor allem für den ausgezeichneten Kaffee.“
„Gern geschehen“, entgegnete Alexander Seamus und streckte dem Hauptkom missar wohlwollend die Hand entgegen. Von Prado verabschiedete er sich zwar ebenfalls mit einem Handschlag, aber die Missbilligung im Gesicht des jungen Mannes war kaum zu übersehen.
„Nicht sonderlich nett, dieser Typ“, befand der Kommissar, nachdem sie das Grundstück verlassen hatten.
„Hm, da bin ich aber ganz anderer Meinung“, antwortete Leng und ergänzte, um seinen Eindruck noch zu unterstreichen: „Ich finde, er ist ein äußerst angenehmer Zeitgenosse: ungewöhnlich freundlich -natürlich nur, wenn man ihn nicht sofort angreift-, klug und offen für neue Erfahrungen. Und das kann man von den meisten Menschen in seinem Alter nicht behaupten.“
„Mein Goott“, sagte Prado, wobei er das o unangenehm in die Länge zog und seine Lippen nach außen klappte, sodass sie an einen Entenschnabel erinnerten. „Wenn ich dich nicht so gut kennen würde, müsste ich vermuten, du hast dich in das kleine Schnuckelchen verguckt.“
Leng schaute seinen Kollegen einige Sekunden lang an, ohne ein Wort zu sagen.
„Was ist los?“
„Das frage ich dich, Jürgen. Deine Witze sind ja nicht immer originell, aber das gerade war absolutes Steinzeitmensch-niveau, obwohl das Wort Toleranz doch zu deinem Stamm-vokabular gehört. Ich hatte immer geglaubt, das sei mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis. Und jetzt stelle ich fest…“
„Red keinen Scheiß, Wilfried“, schnitt ihm Prado das Wort ab. Sein Gesicht war rot vor Zorn, und seine Stimme bebte, als er weiter sprach: „Jeder Mensch lebt mit Vorurteilen, sicherlich auch ich, aber mir zu unterstellen, ich sei ein Feind anderer Lebensformen, ist eine Unverschämtheit. Der beste Freund meiner Frau lebte jahrelang mit einem Mann zusammen. Damit hatte ich nie Probleme.“
„Und was bedeuteten dann eben deine Spitzfindigkeiten und deine gekünstelte Stimme?“
„Ich mochte den Typ einfach nicht. Das hat überhaupt nichts mit seiner sexuellen Ausrichtung zu tun. Verwöhnte Kinder reicher Eltern konnte ich noch nie ausstehen.“
„Woher willst du wissen, dass seine Eltern reich sind?“ fragte Leng ruhig. „Hast du deren Vermögensverhältnisse überprüft?“
„Natürlich nicht“, kam es unwirsch zurück, „aber ein Haus an der Algarve zahlst du nicht aus der Portokasse.“
„Wir kennen das Haus doch gar nicht. Vielleicht hat sein Vater es ja schon vor einigen Jahrzehnten gekauft, als die Grundstückspreise noch erschwinglich waren. Ihr habt euere Eigentumswohnung vor fünfzehn Jahren doch auch günstig erworben, und sie ist heute ein Vielfaches wert.“
Sie schwiegen, bis sie das Auto erreicht hatten. Prado
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