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Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Titel: Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reimund J. Dierichs
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war seine Feigheit. Er habe nichts mit dem Tod seines Sohnes zu tun, behauptete er stets. Nach dem Streit sei er zurück ins Haus gegangen ohne zu wissen, was dann passiert sei. Unterschwellig gab er mir zu verstehen, dass Sven sich durchaus selbst das Leben genommen haben könnte, was meine Schuldgefühle nicht gerade verringerte.“
    Es herrschte für einen Moment Stille und selbst Prado, dem schnell eine dumme Bemerkung über die Lippen kam, die er für einen Witz hielt, hatte es die Sprache verschlagen.
    Leng räusperte sich schließlich. „Aber warum dann auf einmal diese Wut nach all den Jahren?“
    Seamus überlegte einen Moment. „In den ersten Monaten überwog die Trauer. Dann stürzte ich mich in die Arbeit und wurde, sehr zum Erstaunen meines Vaters, einer der besten Schüler in unserer Klasse. Nach dem Abitur begann ich zu reisen. Ich reiste allerdings nicht zu meinem Vergnügen. Ich fing an, Reportagen zu schreiben und lieferte dazu auch gleich die entsprechenden Fotos, Reportagen über das Leben der Menschen in Kambodscha, die bis heute nicht über die Gräueltaten des Pol-Pot-Regimes sprechen können, das Millionen Menschen den Tod brachte; Reportagen über die gestohlene Generation von nahezu 100000 Aborigines-Kindern, die zwischen 1860 und 1970 aus ihren Familien gerissen und entweder in Pflegefamilien oder den Waisen-häusern der Kirche untergebracht und zwangszivilisiert wurden mit dem Ziel, die australischen Ureinwohner, die man als Wilde betrachtete, allmählich auszurotten und Reportagen über die gerne verschwiegenen Nazi-Kollaborateure in den skandinavischen Ländern.
    So wurde aus mir ein anerkannter Reiseschriftsteller, der für Magazine wie Geo, Time Life oder Stern Reportagen schrieb. Es dauerte lange, bis mir klar wurde, dass sich all meine Recherchen immer mit demselben Thema befassten: Schuld und Sühne. Mich interessierten nicht nur die Motive der Täter, sondern auch die unterlassene Hilfeleistung der scheinbar Unbeteiligten und ihre Gefühle sowie vor allem der Schmerz der Hinterbliebenen. Für mich war die Reise um die Welt meine persönliche Trauerbewältigung.“
    Leng hob den rechten Finger hoch, doch bevor er etwas sagen konnte, wurde er von Alexander Seamus sanft unterbrochen.
    „Ich weiß, dass ich Ihre Frage noch immer nicht beantwortet habe, aber mir schien es wichtig, Ihnen einen kleinen Einblick in mein Leben zu geben.“ Er beugte sich über den Tisch und goss den beiden Kommissaren ungefragt ein weiteres Mal Kaffee in die Tassen.
    „Ich mied in all den Jahren eine Begegnung mit der Familie Burghausen. Wenn wir bei ihnen eingeladen waren, fiel meinen Eltern meistens eine einleuchtende Entschuldigung für meine Abwesenheit ein. Sie taten es ausschließlich für sich; mir ging diese Unehrlichkeit gehörig gegen den Strich. Lediglich der Kontakt zu Stefanie blieb erhalten, obwohl wir uns heute nur noch selten sehen.
    Ich will nun aber endlich auf die Auseinandersetzung vo m Donnerstag zu sprechen kommen, denn das ist es ja, was sie interessiert. Der Anlass war ein Artikel im Kölner Stadtanzeiger über einen interdisziplinären Kongress in Mainz über Psychosomatik in der modernen Leistungsgesellschaft, an dem auch Dr. Burghausen teilnahm. Er hielt einen Vortrag über unser größtes Organ, die Haut und wie sie auf Stress, Angst und Überforderung reagiert. Besonderen Focus legte er dabei auf die schwierige Phase der Pubertät und den emotionalen Schock nach dem Tod eines geliebten Menschen. Um ein Beispiel zu geben, erwähnte er den Tod seines Sohnes und ein hartnäckiges Ekzem, das sich nur zwei Tage später auf Schultern und Rücken seiner Frau gebildet hatte und dort zwei Jahre geblieben war.
    Plötzlich spürte ich wieder diese Wut. Ich wollte von ihm ein Eingeständnis, wollte, dass er mir sagt, er habe etwas falsch gemacht. Vielleicht erhoffte ich mir davon für mich selbst so eine Art Absolution. Also suchte ich ihn in seiner Praxis auf, weil er da nicht vor mir weglaufen konnte. Er wirkte überrascht, wollte mich zunächst hinausschmeißen, überlegte es sich dann aber anders. Er betonte immer wieder, sein Sohn habe noch gelebt, als er zurück ins Haus gegangen sei. Da ich nicht weiter kam, verließ ich ihn schließlich. Im Nachhinein bereue ich es, überhaupt dorthin gegangen zu sein, weil ich danach noch viel wütender war.
    Svens Tod ist nach wie vor allgegenwärtig, schleicht sich noch immer in meine Träume, hat mich zur Bindungsunfähigkeit verdammt. Ich

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