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Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Titel: Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reimund J. Dierichs
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startete den Motor und setzte rückwärts. Es gab einen Ruck, als er den Wagen hinter ihm berührte.
    „Verdammter Mist.“ Er stellte den Motor wieder ab und stieg aus. Leng folgte ihm.
    „Scheint noch einmal gut gegangen zu sein“, stellte der Hauptkommissar fest. „Häng ihm trotzdem einen Zettel an die Windschutzscheibe.“
    „Mach ich. Und können wir dann bitte endlich unseren Streit begraben?“
    Leng klopfte seinem Kollegen versöhnlich auf die Schulter. „Ich hätte viel eher einen Grund auf Seamus eifersüchtig zu sein.“
    „Wie kommst du nur darauf, dass ich eifersüchtig bin?“
    „Komm, lassen wir das.“
    „Also gut. Was für einen Grund hättest du?“
    „Alexander Seamus übt genau den Beruf aus, der mir immer vorschwebte.“
    „Du wolltest Journalismus studieren?“
    „So konkret waren meine Vorstellungen damals nicht. Ich wollte erst einmal reisen, mir die Welt anschauen und meine Erfahrungen aufschreiben. Ist bestimmt interessant, unbekannte Länder und neue Menschen kennen zulernen. Mein Traum war ja immer China. Etwas Mandarin spreche ich noch heute.“
    „Du sprichst Mandarin?“ fragte Prado erstaunt. „Also hast du doch studiert?“
    „Nein, leider nicht. Als mein Vater starb, war ich neunzehn und unsere Familie ziemlich mittellos. Meine Mutter stand praktisch vor dem Nichts. Sie besaß zwar ein kleines Haus und musste keine Miete bezahlen, aber irgendetwas willst du dir ja auch in den Mund stopfen. Mir blieb gar nichts anderes übrig als ein sicherer Job, der regelmäßig Geld einbrachte, um meine Mutter und meine zehn Jahre jüngere Schwester unterstützen zu können.“
    „Und wo hast du dann Mandarin gelernt?“
    „Von einem Mitschüler, dessen Eltern Mitte der Sechziger Jahre nach Deutschland gekommen waren und in der Nähe des Ebertplatzes ein Chinesisches Restaurant betrieben. Wir wohnten in unmittelbarer Nachbarschaft und wurden Freunde, was mich noch immer erstaunt. Damals war China für die meisten Deutschen ein weißer Fleck auf der Landkarte, und das Wenige, was sie zu hören bekamen, hatte immer mit den Menschen verachtenden Auswirkungen des real existierenden Kommunismus zu tun. Chinesen sahen völlig anders aus und kamen aus einer für uns fremden Kultur; allein das machte sie schon suspekt. Allerdings waren sie sehr anpassungsfähig und fielen deshalb weniger auf. Als Kind hast du damit sowieso kaum Probleme. Kinder entscheiden mit dem Herzen oder entsprechend ihren Bedürfnissen. Manche Vorurteile und Ängste sind noch nicht so manifest wie bei Erwachsenen. Auf mich wirkte damals das Fremde eher anziehend als abstoßend.
    Zu Beginn unserer Freundschaft hatte ich nicht einmal eine Ahnung, wo Dong herkam. China war für mich lediglich ein Wort mit fünf Buchstaben. Wenn er sich mit seinen Eltern unterhielt, klang das für mich wie die Lautmalerei bei kleinen Kindern und regte mich nicht zur Nachahmung an. Das änderte sich erst, als sie 1973 ihre Wohnung renovierten und mehrere Fotos vom Yangtze und seinen drei bekanntesten Schluchten aufhängten. Heute eher Sinnbild für eine öko-logische Katastrophe, damals aber durchaus Sehnsucht fördernd. Diese grandiose Flusslandschaft, die sicherlich zu den schönsten der Welt gehört, wollte ich mir eines Tages anschauen. Ab da war es nur ein kleiner Schritt zum Erlernen der Sprache. Obwohl sie meinen Wunsch am Anfang überhaupt nicht verstanden, unterstützten mich mein Freund und seine Familie, wann immer es ihre Zeit erlaubte. Im Gegenzug half ich ihnen beim täglichen Kampf mit dem Behördendeutsch.“
    „Wurde die Familie denn verfolgt?“ fragte Prado. „Und woher hatten sie die Einreiseerlaubnis?“
    „Die damalige westdeutsche Regierung wollte wohl mitten im Kalten Krieg ein Zeichen setzen gegen Rot-China und lud 5000 taiwanesische, also nationalchinesische Köche ein und nahm sie auf. Offensichtlich wussten weder Ausländerbehörde noch Innenministerium von diesem Deal. Die Einreisenden wurden am Flughafen von einigen CDU-Leuten in Empfang genommen und bekamen gleich dort auch die nötigen Papiere ausgehändigt.
    Jeder Chinese“, fuhr Leng fort, „der ein Restaurant eröffnete, durfte für die Dauer von fünf Jahren fünf weitere Köche aus seiner Heimat nachholen, sodass die Zahl gleich im ersten Jahr auf 30000 stieg.“
    „Aber warum sind sie hierher gekommen?“
    „Vermutlich, weil sie arm waren und hier unterstützt wurden, aber in erster Linie sicherlich, weil sie befürchteten, Mao würde seinen

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