Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
Moment von einer leichten Röte überzogen wurde. Um sie zu verbergen, trank er hastig ein paar Schlucke.
„Hallo, Wilfried.“ Jemand berührte sanft seine Hand.
„Hallo, Susanne“, sagte Leng erfreut und drehte sich nach der ihm vertrauten Stimme um, die ihm gleichzeitig Gelegenheit bot, sich von seinen delikaten Gedanken abzulenken. „Wie geht es dir?“
„Gut“, antwortete sie knapp, ohne weiter darauf einzugehen. „Wie sieht es denn bei dir aus?“ fragte sie stattdessen.
„Abgesehen davon, dass ich an Samstagen nicht gerne arbeite, ist alles in bester Ordnung.“
Susanne wusste, wie wenig das der Wahrheit entsprach. Natürlich gab es keine Probleme, die unaufschiebbar waren und sofort nach einer Lösung verlangt hätten wie eine schwere Krankheit oder ein Haufen Schulden, aber auch das Herz ließ sich auf Dauer nicht vertrösten und verlangte nach Zu-wendung. Die Fixierung auf Elsa schien ihr wenig geeignet, um dieses Verlangen zu stillen.
Aber hatte sie überhaupt ein Recht, Kritik zu üben? Neigte sie nicht selber dazu, unliebsame Dinge erst einmal beiseite zu schieben? Seit zwei Tagen wurde sie von Kopfschmerzen geplagt, keinen rasenden, doch ständig nagenden, die einen auf Dauer zermürbten. Doch sollte sie damit hausieren gehen? Kopfschmerzen begleiteten sie schon seit mehr als zwei Jahr- zehnten. Es gab kaum eine Woche, die komplett schmerzfrei gewesen wäre. Sie hatte alle möglichen Untersuchungen über sich ergehen lassen, die aber außer einem hilflosen Schulterzucken der Fachärzte keine brauchbaren Ergebnisse geliefert hatten, wenn man einmal von Standardfloskeln wie Das kommt von der Wirbelsäule oder Sie haben eine extreme Muskelverhärtung absah. Die verschriebenen Massagen führten auch nur zu einer vorübergehenden Erleichterung, und die regelmäßigen Besuche im Finnessstudio stärkten zwar ihren Rücken und steigerten ihre Mobilität, befreiten sie aber nicht von ihrem Kopfschmerz. Vielleicht lag ja die Lösung ihres Problems irgendwo in ihrer Kindheit begraben, an die sie nicht die allerbesten Erinnerungen hatte. Schließlich kam es ja nicht von ungefähr, dass sie schon mit siebzehn aus dem Elternhaus geflohen war.
„Geht’ s dem Kater wieder gut?“ Lengs Frage zielte weniger darauf ab, etwas über den Zustand des Tieres in Erfahrung zu bringen, sondern diente eher dem Zweck, endlich das Bild von Elsas Dekollete aus dem Kopf zu kriegen und die Farbe seines Teints von Feuerwehrautorot wieder in seine sonnenentwöhnte Winterblässe zurückzuführen.
„Er ist fast wieder der Alte“, entgegnete Susanne, schien aber zu seinem Erstaunen kein wirkliches Interesse daran zu haben, das Thema weiter diskutieren zu wollen. „Hast du was von Lore gehört?“ fragte sie stattdessen.
Lore war eine gemeinsame Bekannte, die sich in den letzten drei Jahren immer mehr aus ihrem Freundeskreis zurückgezogen hatte, ohne dass irgendjemand eine Erklärung dafür fand. Auf besorgte Nachfragen reagierte sie unwirsch, bis-weilen sogar aggressiv, aber immer verbunden mit der Aufforderung, man möge sie doch in Ruhe lassen, weil sie am besten wisse, was ihr gut tue.
Vor zwei Jahren hatte sie dann nach mehreren Besuchen auf der Zuckerinsel einen Kubaner geheiratet, obwohl sie immer eine erklärte Gegnerin des Ringaustausches gewesen war.
Die Ehe ging schief, was bei einem Altersunterschied von zwanzig Jahren und völliger Unreife des Ehemannes sicherlich vorprogrammiert gewesen war. Er hatte Lore benutzt, um ein marodes Land zu verlassen, dessen Wirtschaft am Boden lag und ihm keine berufliche Perspektive bot. Diese interessierte ihn aber nicht mehr im Geringsten, nachdem er sich in der Wohnung seiner Ehefrau eingenistet hatte und auf ihre Kosten lebte. Mit der Treue nahm er es auch nicht so genau, und schon bald hatte er Affären mit mehreren Frauen, die alle nicht weit von der Menopause entfernt waren. Sie entsprachen zwar nicht seiner Idealvorstellung, aber prall gefüllte Geldbörsen erleichterten es ihm, über die Unzulänglichkeiten hinwegzusehen.
„Dieses Mal mussten sie ihr eine Brust abnehmen“, hörte Susanne Leng sagen.
Es war der Krebs, der Lore in Panik versetzt und dann dazu geführt hatte, sich in der vermeintlich noch verbleibenden Zeit einige ihrer geheimen Wünsche zu erfüllen. Vor drei Jahren war er das erste Mal ausgebrochen, aber die Ärzte hatten den Tumor vollständig entfernen können Trotzdem lebte sie seitdem in ständiger Angst und versuchte auf sehr
Weitere Kostenlose Bücher