Unter die Haut: Ein romantischer SM-Roman (German Edition)
Tau weg ist. Wenn ich den Mähdrescher jetzt tanken fahre, könnte ich dich gleich zu Friedrich mitnehmen, und Mama holt dich später dort wieder ab.“
Michel ist mit einem Satz aus dem Bett. Natürlich, er hat heute einen wirklich wichtigen Auftrag. Schließlich geht es um Juliette, das duldet keinen Aufschub, findet er.
Schleunigst ist er angezogen und steht in kurzen Hosen, buntem T-Shirt und Sandalen in der Küche, wo er noch schnell, ein Brötchen im Mund, ein extrem notwendiges Utensil aus dem Kühlschrank greift.
Immer, wenn Michel Friedrich besucht, darf eines nicht fehlen. Es ist sozusagen der Schlüssel für das Schloss, hinter dem die sagenhaften Geschichten des Alten liegen.
Seit Friedrich im Krieg eine Heidenangst vor der heranziehenden russischen Armee entwickelt hat, ist er ein ausgesprochener Freund des großen Landes jenseits des Atlantiks geworden. Und für Friedrich gibt es keinen besseren Ausdruck für Freiheit und Demokratie als diesen Geschmack, den er jedes Mal geradezu andächtig die Kehle hinunterrinnen lässt.
Eine Dose Cola!
Und weil Michel weiß, dass Friedrich nicht gern allein trinkt, greift er noch ein zweites Mal in Bärbels Getränkevorräte.
„ Ach, dein Bestechungsritual, damit sich Friedrich die Stimme ölen kann“, lacht Hinrich, als der Junge zu ihm in die Kabine des schon laufenden Mähdreschers klettert.
„ Klar, Papa, das muss schon sein! Wenn ich nicht einen mit ihm trinke, erzählt er mir gar nichts“, gibt Michel vergnügt zurück.
Nach wenigen Kilometern ist das Dorf erreicht, und schon von Weitem sehen sie den alten Mann vor seiner reetgedeckten Kate auf der kleinen Bank in der Morgensonne sitzen. Ganz offenbar freut er sich über den Besuch und winkt seinen kleinen Freund zu sich heran.
„ Michel, mein Junge, das ist aber schön, dass du mich mal wieder besuchen kommst“, begrüßt er ihn in seinem breiten Mecklenburger Platt, das der Kleine ganz nebenbei bei ihm lernen konnte, ja lernen musste, um seinen Erzählungen überhaupt folgen zu können. „Komm setz dich her“, deutet er auf das Plätzchen neben sich auf der alten Holzbank, die unter seinem beachtlichen Gewicht knarzende Laute von sich gibt.
So wenig silberweiße Haare ihm auf dem Kopf auch geblieben sind, so gewaltig ist sein Vollbart, der das wettergegerbte Gesicht mit den immer noch sehr wachen wasserblauen Augen umkränzt. Stattlich wölbt sich sein Bauch im karierten Hemd über dem Bund der braunen Cordhose. Gehalten wird sie von breiten Hosenträgern der, wie Friedrich gern betont, einzig tauglichen Marke „Herkules“.
Obwohl der Doktor, der „junge Spund“, wie er den lange pensionierten Dorfarzt nennt, ihm das Rauchen schon seit gut vierzig Jahren abzugewöhnen versucht, ist Friedrich von seinem langen Pfeifchen mit dem kleinen Kopf nicht abzubringen.
„ Räucherware hält sich länger“, pflegt er zu sagen, wenn das Gespräch mal wieder auf seine ungesunde Leidenschaft kommt, und Friedrich weiß, wovon er redet, denn seine Räucheraale damals, in der Zeit, als er noch Fischer war, waren weit und breit die begehrtesten. Der Doktor hat auch unlängst zugeben müssen, dass der Alte so unrecht nicht haben kann, denn ihm sind langsam die Argumente ausgegangen angesichts der erstaunlichen Konstitution seines hundertjährigen Patienten. Das von Friedrich mit freundlichem Gesicht ob der klugen Erkenntnis angebotene Pfeifchen hat er dann aber doch dankend abgelehnt.
Einzig in einer Sache hat der Doktor ihn mal überzeugen können. Nach langen Jahren, in denen er sich kategorisch geweigert hatte, weil er der Auffassung gewesen war, die Leute würden ihm nur böse Streiche spielen und in seiner Gegenwart flüstern, damit er nichts mitbekommen sollte, hat er sich zu einem Hörgerät überreden lassen, und war dann doch erstaunt gewesen, wie die vermaledeite moderne Technik, von der er wenig hält, ihm helfen kann.
„ Nun, mein Michel“, pafft er kleine Qualmwölkchen in den blauen Julihimmel, „hast du mir was mitgebracht und möchtest du eine Geschichte hören?“
„ Herrje, na klar!“ Michel greift in seinen Rucksack und holt die zwei Dosen Cola heraus.
Mit sorgsamen Bewegungen öffnet Friedrich seine Dose, stößt mit seinem kleinen Gast an, dass die braune Limonade schäumend aus der Öffnung quillt, und nimmt einen langen genüsslichen Zug Demokratie und Freiheit.
„ Friedrich, heute möchte ich gar keine Seeräubergeschichte hören, du musst mir was ganz anderes
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