Unter die Haut: Roman (German Edition)
anhabe, verzichten Sie einfach darauf, mich aus dem Bett zu holen, dann bleibt Ihnen der Anblick erspart!« Er rieb sich die Stirn, hinter der sich inzwischen ein pochender Schmerz ausgebreitet hatte, und kämpfte gegen seinen Ärger an. Er war lange genug Cop, um zu wissen, dass Wut in einer solchen Situation am wenigsten brachte. Allerdings war es auch nicht so leicht, sie loszuwerden, wie er feststellen musste, als er den Blick bemerkte, mit dem sie ihn wie ein besonders ekelhaftes Kriechtier musterte. Wütend stieß er hervor: »Warum tun Sie und Ihre Freunde uns allen nicht einen Gefallen? Veranstalten Sie Ihre Gesangsübungen von jetzt an doch in der Bar, in der Sie Ihr Geld verdienen.« Dann machte Vincent auf dem Absatz kehrt und ging davon, ohne ihre Antwort abzuwarten.
Ivy stieß einen Fluch hinter zusammengebissenen Zähnen hervor und knallte die Tür hinter ihm zu. Ihr Atem ging so schnell, als hätte sie soeben einen Dauerlauf gemacht, und als sie sich umdrehte, sah sie die stummen Blicke ihrer Verwandten auf sich gerichtet. Je nach Veranlagung starrten sie sie entsetzt, ungläubig, ärgerlich oder amüsiert an. »Habt ihr das gerade mitbekommen?«, fragte sie.
»War kaum zu vermeiden«, murmelte einer.
»Wirklich ein reizender Zeitgenosse, was?«, murmelte ein anderer.
Noch lange nachdem ihre Umzugshelfer gegangen waren, dachte Ivy über die seltsame Begegnung mit ihrem Nachbarn nach. Ihr Ärger wirkte wie ein Aufputschmittel, unermüdlich packte sie Umzugskartons aus, suchte für jedes ihrer Besitztümer ein passendes Plätzchen und schob die kleineren Möbel hin und her, die ihre Cousins vorhin in die Wohnung getragen und einfach mitten in dem Zimmer abgestellt hatten, in das sie ihrer Meinung nach gehörten. So führte ihr Ärger wenigstens dazu, dass ihre neue Wohnung in Rekordzeit fertig eingerichtet war.
Als sie sich allmählich wieder beruhigte, kam sie sich ein bisschen lächerlich vor, weil sie zugelassen hatte, dass der Kerl sie so durcheinander brachte. Sie verfügte selbst über ein hitziges Temperament, das hatte sie zusammen mit den roten Haaren geerbt. Aber das jahrelange Medizinstudium, die Zeit als Arzt im Praktikum und drei Jahre Hektik in der Notaufnahme der größten Unfallklinik der Stadt hatten sie dazu gezwungen, ruhiger zu werden. Sie hätte es niemals über das Physikum hinaus geschafft, wenn sie nicht schon vor Jahren gelernt hätte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Und es war ebenfalls Jahre her, seit sie sich das letzte Mal Gedanken darum gemacht hatte, was ein völlig Fremder von ihr dachte. Es war ihr vollkommen unerklärlich, warum sie die bösartige Unterstellung ihres neuen Nachbarn so tief getroffen hatte. Normalerweise hätte sie darüber gelacht und die ganze Sache mit einem Schulterzucken abgetan.
Na gut, gestand sie sich ein, während sie im Badezimmer aufräumte, sie wusste es. Sie wusste es sogar sehr gut. Dieser Armleuchter hatte ihre seit langem schlummernden sexuellen Bedürfnisse geweckt, und jetzt verlangten sie nach Befriedigung, ohne dass diese in Sicht war. Der Teufel sollte ihn holen!
Sie hatte ihre sexuellen Bedürfnisse vor langer Zeit in die Mottenkiste gepackt, und dieses Jahr wollte sie sie endlich wieder herausholen. Natürlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass das von heute auf morgen passieren würde, aber ebenso wenig hatte sie damit gerechnet, dass man ihr gleich eins überbraten und ihr Gott weiß was für Perversionen unterstellen würde, sobald sie auch nur einen Hauch von Interesse verspürte.
Es war eine Ewigkeit her, seit sie sich von einem Mann angezogen gefühlt hatte. Sie hatte auf dem College ein paar Beziehungen gehabt, aber es gab nichts, was auf längere Sicht wichtiger gewesen wäre als der Wunsch, Ärztin zu werden. Als sie mit dem Medizinstudium begonnen hatte, war es noch schwieriger geworden, eine ernsthafte Beziehung aufrechtzuerhalten, weil unweigerlich alle Männer, mit denen sie sich traf, früher oder später eifersüchtig darauf reagierten, wie viel Zeit und Energie sie in ihr Studium investierte. Sie erwarteten von ihr, dass sie sich im gleichen Maß – oder sogar noch mehr – um ihr Wohlergehen kümmerte. Sobald sie diesen Vorwurf zu hören bekam (»Wenn dir an unserer Beziehung so viel liegen würde wie an deiner blöden Arbeit!«), wusste Ivy, dass der Anfang vom Ende gekommen war. Sie wollte Ärztin werden, seit sie fünfzehn war, und wenn der Mann, mit dem sie zusammen war, sie so wenig
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