Unter die Haut: Roman (German Edition)
versicherte er ihr freundlich, »du wirst es früher oder später herausfinden. Du bist klug, Jaz. Aber was noch wichtiger ist, von uns allen bist du wahrscheinlich die Netteste.«
Ihr Lächeln ließ ihm den Atem stocken. »Danke, dass du nicht gesagt hast ›die Hübscheste‹«, sagte sie. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Leute es schaffen, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, bloß weil ich Glück mit meinen Genen hatte und als wäre es der Gipfel der Selbstsucht, noch andere Wünsche zu haben. Du gehörst zu den wenigen Menschen, die mir auch mal einen Moment der Schwäche zugestehen.« Ein Rest ihres Lächelns spielte noch um ihre Mundwinkel, als sie ihm jetzt in die Augen sah. »Ich mag dich wirklich, Terry.«
Sein Herz begann schneller zu schlagen, obwohl er wusste, dass sie damit meinte: »Wie einen Bruder.«
Solange er denken konnte, war er in Jaz verliebt, und selbst wenn er noch so sehr dagegen ankämpfte, ließ sich an seiner Liebe für sie nichts ändern. Er fühlte sich deswegen schuldig, als seien seine Empfindungen etwas Schmutziges. Und als ob die Stimme seines Gewissens mit ihren ständigen Warnungen noch nicht genug wäre, klang ihm seit dem Tag, an dem sie Ivy beim Umzug geholfen hatten, außerdem auch noch dauernd Davis’ Stimme im Ohr. Sie drängte sich ihm in den unpassendsten Momenten auf und stimmte einen hässlichen Refrain über Cousins und Cousinen an, die sabbernde Idioten miteinander zeugten.
Aber er hatte bereits vor langer Zeit gelernt, seine wahren Gefühle zu verbergen. Deshalb schenkte er Jaz nur eines seiner typischen unbekümmerten Lächeln und erwiderte: »Ich dich auch, Kleine«, bevor er sich wieder seiner Arbeit an Ivys Sessel zuwandte.
Ivy liebte ihren Beruf mehr als alles andere, aber es gab unbestreitbar Zeiten, in denen er ihr im Grunde zu viel abverlangte. Dazu gehörte die Nacht, in der sie Bess Polsen einlieferten.
Sie hatte in den vergangenen fünf Tagen doppelte Schicht gearbeitet, und das machte sich allmählich bemerkbar. Zwar hatte sie sich freiwillig erboten, die zusätzliche Schicht zu übernehmen, als einer ihrer Kollegen wegen eines Notfalls in der Familie zu Hause bleiben musste, deshalb konnte sie niemandem einen Vorwurf machen außer sich selbst. Und im Grunde genommen hatte es ihr bis zu diesem Abend auch nichts ausgemacht, mehr zu arbeiten.
Aber heute Abend war die Notaufnahme das reinste Tollhaus. Zweifellos hatte das etwas damit zu tun, dass Vollmond war – jeden Monat schien die Zahl der eingelieferten Fälle um diese Zeit zu steigen. Und wie zu hören war, herrschte auf der Entbindungsstation ebenfalls Hochbetrieb.
Es war nach Mitternacht und ihre zweite Schicht offiziell zu Ende, als sie den letzten Faden an der Platzwunde eines Highschool-Schülers verknotete, der von einer Bande Jugendlicher vor einem Lagerhaus verprügelt worden war, in dem eine von der Stadt gesponserte Tanzveranstaltung stattfand. Bereits voller Vorfreude auf die kalte Dusche, die sie sich zu Hause gönnen würde, schaute sie im Warteraum vorbei, um die Eltern des Jungen zu beruhigen und die Gruppe Teenager, die ihn hergebracht hatten und besorgt auf Neuigkeiten über seinen Zustand warteten. Dann machte sie sich auf den Weg ins Arztzimmer.
Sie war gerade dabei, den fleckigen Arztkittel gegen ihre Straßenkleidung zu tauschen, als sie hörte, dass ihr Name ausgerufen wurde. Sie wurde dringend in der Notaufnahme gebraucht, deshalb warf sie mit einem bedauernden Blick auf die Pumps an ihren Füßen die bequemen Birkenstock-Sandalen in den Spind, schnappte sich einen Labormantel, knallte die Tür zu und eilte aus dem Umkleideraum, während sie in die Ärmel des Mantels schlüpfte und das Namensschild auf ihrer Brust befestigte.
Angie, eine ihre Lieblingsaufnahmeschwestern, kam ihr auf halbem Weg entgegen. »Tut mir Leid, Ivy«, sagte sie, als sie eine Kehrtwendung gemacht hatte und im Laufschritt neben ihr hereilte, um mit ihren großen Schritten mitzuhalten. »Ich weiß, dass Ihr Dienst zu Ende ist, aber es klang so, als würden uns die Sanitäter gleich einen kritischen Fall bringen. Sie sind in siebzig Sekunden da, und sonst ist niemand abkömmlich.«
»Machen Sie sich deswegen keine Gedanken«, erwiderte Ivy. »Worum geht es?«
»Vergewaltigungsopfer mit Schnittwunden, aber das ist nicht das größte Problem. Sie steht offenbar unter Schock. Der Blutdruck ist 80 zu 40.«
»Oh Mann.« Sie waren inzwischen im Eingangsbereich der Notaufnahme
Weitere Kostenlose Bücher