Unter die Haut: Roman (German Edition)
normal, und sie kam gerade langsam zu sich, als Ivy kurze Zeit später erneut nach draußen geholt wurde.
Der letzte Mensch, den sie zu sehen erwartet hätte, war ihr Nachbar.
Es wäre eine Untertreibung zu behaupten, dass es ihm genauso ging. Vincent erstarrte förmlich, als Ivy aus dem Behandlungsraum trat, und seine Augen schossen zu dem Namensschild auf ihrer Brust. Du lieber Gott, sie war Ärztin? Na toll. Als Keith gesagt hatte, nach allem, was Vincent über sie wusste, könnte sie Hirnchirurgin sein, hatte er also nicht sehr weit danebengelegen.
Er kam sich vor wie ein Volltrottel, und deshalb verhielt er sich besonders distanziert. Er zückte seinen Dienstausweis und stellte sich vor.
Ivys Reaktion war der seinen nicht ganz unähnlich. Er war ein Cop? Sie warf einen Blick auf die Karte, die er ihr reichte. Detective Vincent D’Ambruzzi, Seattle Police Department, Special Assault Unit, Ermittlungsabteilung. Sie versuchte, sich vorzustellen, dass diese kalten schwarzen Augen Mitgefühl für ein Vergewaltigungsopfer zeigten, und scheiterte kläglich. Vielleicht war das aber auch nur eine voreingenommene Reaktion auf die Missbilligung, die er ihr gegenüber so deutlich gezeigt hatte, wie sie sich eingestehen musste.
»Was kann ich für Sie tun, Detective?«, erkundigte sie sich, ebenso kühl wie er.
Vincent fragte sich, was er hier eigentlich tat. Er hatte heute Nacht keine Bereitschaft, aber ein befreundeter Streifenpolizist, der am Tatort gewesen war, hatte ihn angerufen und ihm von dem neuesten Überfall berichtet. Aus der Schnittwunde auf Bess’ Brust hatte der Streifenpolizist geschlossen, dass sie höchstwahrscheinlich das vorerst letzte Opfer in einer Serie von Fällen war, an denen Vincent seit drei Monaten arbeitete.
Fälle, in denen es verdammt wenige Anhaltspunkte gab.
Der Vergewaltiger, hinter dem er her war, verhielt sich ausgesprochen vorsichtig, und die Aussagen der beiden früheren Opfer waren nicht besonders hilfreich gewesen. Manche Frauen konnten sich erstaunlich genau an Einzelheiten der Tat erinnern und gaben eine präzise Beschreibung des Täters ab, andere dagegen waren völlig konfus, sobald es um Augenfarbe, Größe und mögliche andere Details ging. Oft hatte der Mann, den sie bei einer Gegenüberstellung identifizierten, kaum Ähnlichkeit mit der ursprünglichen Beschreibung, auch wenn sie ihn dann sofort wiedererkannten. Die Detectives verbrachten vor Gericht viel Zeit damit, diesen Umstand den Geschworenen zu erklären, um zu verhindern, dass die Verteidiger so tun konnten, als würden ihre Mandanten vorschnell verurteilt.
Die beiden Opfer in diesem speziellen Fall waren in schlechter Verfassung gewesen und letztlich zu traumatisiert, um überhaupt eine Beschreibung abgeben zu können.
Also was tat er dann hier? Er folgte jedenfalls nicht seiner üblichen Vorgehensweise, so viel stand fest. Normalerweise hätte er bis zum nächsten Tag gewartet, um das jüngste Opfer zu befragen, aber heute Nacht hatte er sich aus dem Bett gequält und war ins Krankenhaus gefahren in der Hoffnung, mit der Frau sprechen zu können, solange sie die Einzelheiten noch frisch in Erinnerung hatte. Vielleicht konnte sie ihm irgendeinen wertvollen neuen Hinweis geben. Er konnte weiß Gott ein wenig Hilfe brauchen, um diesen Kerl zu fassen, und er betete, dass ihm das gelingen würde, bevor ihm noch eine Frau zum Opfer fiel.
Statt I. Pennington, M.D., an diesen Überlegungen teilhaben zu lassen, erklärte er nur kurz angebunden: »Ich würde gern mit Bess Polsen sprechen. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat man sie hierher gebracht.« Er fragte sich, warum er eigentlich die ganze Zeit darüber nachdachte, wofür das I. stehen mochte.
»Detective«, erwiderte Ivy gereizt, und das war nur zum Teil eine Reaktion auf seinen Tonfall, »ich habe jetzt keine Zeit für so was. Sie werden sich mit Ihren Fragen noch ein bisschen gedulden müssen. Ich habe da drin eine Patientin, die unter einem hypovolämischen Schock steht, und sobald sich ihr Zustand einigermaßen stabilisiert hat, kommt sie in den OP. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden?« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand wieder hinter dem Vorhang.
Verdammt noch mal! Vincent folgte ihr auf dem Fuß.
»Sir!«, rief eine Krankenschwester. »Sie können hier nicht einfach so reinkommen!«
Ivy sah von ihrer Patientin auf, und ihre Augen wurden dunkel vor Ärger.
»Können Sie mir wenigstens sagen«, sagte Vincent
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