Unter die Haut: Roman (German Edition)
geärgert und über die Macht, die sie scheinbar mühelos über ihn ausübte. Das starke Verlangen, das ihn gepackt hatte, als er da stand und sie anstarrte, und seine Unfähigkeit, diese spontane Reaktion zu unterdrücken oder im Zaum zu halten, hatten ihn wütend gemacht, und sein Zorn hatte sich direkt gegen Ivy gerichtet.
Als er sie jetzt beobachtete, wurde ihm klar, dass er sich mit seinen Gefühlen auseinander setzen musste, er konnte den Fisch entweder fangen oder schwimmen lassen, wie die Farmer zu Hause in Iowa immer gesagt hatten. Fest stand, dass er sie nicht begehren wollte. Trotzdem tat er es.
Entschied er sich also dafür, um das zu kämpfen, was er wollte – und das hieß, damit aufzuhören, auf sie wütend zu sein, weil sie ihn dazu brachte, es zu wollen -, oder zog er sich gänzlich aus ihrem Leben zurück … selbst wenn das bedeutete, dass er umziehen musste? So wie bisher konnte es auf jeden Fall nicht weitergehen. Bis er eine Entscheidung getroffen hatte, blieb ihm, wie heute Morgen, nichts weiter übrig, als den Rückzug anzutreten und sich nicht ihrem Anblick auszusetzen.
In den nächsten Stunden befragte er einige weitere Stammgäste, und als er mit dem letzten fertig war, war er völlig entmutigt und frustriert. Das Ergebnis erinnerte ihn an einen dieser alten Witze, in denen es um eine gute und eine schlechte Nachricht ging. Die gute Nachricht war: Ein oder zwei Leute erinnerten sich daran, am Mittwochabend einen Mann gesehen zu haben, auf den seine zugegebenermaßen vage Beschreibung passte. Die schlechte Nachricht? Diejenigen, die sich an einen solchen Mann erinnerten, schienen sich hinsichtlich der Einzelheiten nicht einig zu sein, und die brauchte er, um eine Zeichnung von ihm anfertigen zu lassen.
Sie hatten sich auf seine Bitte hin bereit erklärt, im Lauf der nächsten Woche aufs Revier zu kommen, um die Verbrecherkartei durchzublättern, aber es stand in den Sternen, ob das etwas bringen würde. Im Augenblick sprühte er zwar nicht gerade vor Optimismus, aber man konnte ja nie wissen; vielleicht sah er alles nicht mehr ganz so schwarz, wenn er am Wochenende etwas ausspannen konnte.
Der Gedanke tröstete ihn allerdings nicht wirklich. Je länger er in dem nüchternen Büro saß und auf das Gelächter und das Stimmengewirr aus der Bar lauschte, das durch die Wände an sein Ohr drang, umso unbehaglicher und ausgeschlossener begann er sich zu fühlen.
Er hatte es so verdammt satt, immer der Außenseiter zu sein. Was irgendwie lächerlich war, denn diese kleine Bar am Pioneer Square war wohl kaum mit der gesamten Gemeinde von Gentry zu vergleichen, wo er in der einzigen italienischen Familie am Ort aufgewachsen war, inmitten einer verschworenen Gemeinschaft schwedischstämmiger Farmer, die schon in der vierten Generation dort ansässig waren. Seine Gegenwart war toleriert worden, bis er die Pubertät erreichte. Dann hatten die Farmer plötzlich angefangen, sich um die Tugendhaftigkeit ihrer hübschen blonden Töchter Sorgen zu machen, wenn sie mit dem dunkelhäutigen, fremdländisch aussehenden Jungen der D’Ambruzzis zusammen waren. Die Einsamkeit, die er heute Nacht empfand, hatte nichts mit diesem engstirnigen, dörflichen Denken zu tun. Es war etwas völlig anderes … und trotzdem rief es die gleichen Empfindungen hervor.
Nein, das war einfach bescheuert. Er selbst war derjenige, der beschlossen hatte, sich heute Nacht von der Bar und allen Vergnügungen dort fern zu halten. Sich das ins Gedächtnis zu rufen schien jedoch nur wenig Einfluss auf seine zunehmend düstere Stimmung zu haben.
Reiß dich zusammen, D’Ambruzzi, ermahnte Vincent sich streng, um seiner Niedergeschlagenheit Herr zu werden. Er sagte sich, dass Selbstmitleid keine besonders attraktive Eigenschaft war – bei einem Teenager war Selbstmitleid vielleicht noch irgendwie verständlich, für einen erwachsenen Mann Mitte dreißig war es jedoch kaum angemessen.
Aber andererseits war Freitagnacht, verdammt noch mal, sein Dienst war beendet, und er verspürte wenig Neigung, nach Hause in seine leere Wohnung zurückzukehren. Sie war da draußen in dem anderen Raum, wahrscheinlich amüsierte sie sich, während er einsam hier festsaß und alles nur aus der Entfernung mitbekam, von all dem Spaß ausgeschlossen blieb.
Wie immer.
Außerdem, wer sagte denn, dass Stimmungswechsel der Vernunft gehorchen mussten? Gefühle waren nun einmal das, was sie waren … Und ob es ihm gefiel oder nicht, er war eben mieser
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