Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Zehenspitzen den Boden. Eine schmerzende Kälte zog durch ihren Körper, sodass sie zurückzuckte und erst einmal mit geschlossenen Augen verharrte.
Schließlich fanden ihre Fußsohlen den Weg zum Boden. Darina erhob sich vom Sofa. Sie war nur in ein schmales Hemdchen gekleidet und ihr Körper von Symbolen und Blumenranken gezeichnet. Sie glich einer Elfe, die ängstlich in das Licht sah. Ihr feuerrot gefärbtes Haar ließ ihre Haut noch bleicher erscheinen, als sie eigentlich war.
Lundinions rabenschwarze Haare waren so lang wie die ihren, und seine Augen trugen die ewige Tiefe der Dunkelheit in sich – unbegreiflich und anziehend, aber auch tödlich und kalt. Seine Lippen glichen denen der süßesten Verführung, und sein Körper war, wie ihrer, mit unzähligen tätowierten Symbolen übersät. Sie hatte einmal einen kurzen Blick darauf werfen können, als er in ihrer Gegenwart seine Kleidung wechseln musste.
Er trug einem langen Umhang und eine schwarze Rüstung, die mit vielen Blumen verziert war, die einen Wolf umrankten. Sie bestand aus einem Material, das in der menschlichen Welt unbekannt war. Außerdem umschwebte ihn stets eine Art düsterer Nebel, der ihn schnell vollkommen einzuhüllen und zu verbergen vermochte, wenn es nötig war.
Darina spürte eine tiefe Zuneigung zu ihm, doch immer wieder kämpfte sie gegen die aufkeimenden Gefühle an. Verschämt vor dem, was sie für Schwäche hielt, hatte sie den Gedanken aus ihrem Innersten gestrichen, dass er mehr als nur ein Wächter für sie sein könne.
Ein wenig gereizt sagte sie: »Wie soll ich denn noch nach draußen gehen? Sieh mich doch an. Sie würden mich anstarren, als wäre ich ein Monster!«
Bevor sie noch etwas sagen konnte, drehte er sich zu ihr und legte ihr einen Finger auf die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. Dann packte er ihre Schultern, zog sie näher an sich heran und blickte ernst in ihre Augen. »Niemand wird dich erkennen. Die Menschen wagen ohnehin nur noch oberflächliche Blicke. Für alles andere sind ihre Herzen zu kalt geworden. Egal wie schön oder hässlich du in ihren Augen wirken magst, sie werden dich nicht in ihrer Welt akzeptieren. Das Feuer, das du in dir trägst, könnte ihnen die Augen aus dem Kopf schmelzen und ihr schon längst verfaultes Fleisch zum Kochen bringen. Sie akzeptieren sich ja noch nicht einmal mehr gegenseitig. Es ist im Grunde also egal, wie du vor sie trittst.«
Das Herz der jungen Frau pochte heftig. Furcht malte sich auf ihrem Gesicht ab.
Betroffen ließ er sie los und ging wieder zum Fenster. Er sah auf dicke Gitter und einen kargen Hof, alles so kalt wie dieser Raum.
»Es tut mir leid. Manchmal vergesse ich, dass du mehr Menschliches in dir trägst, mehr, als ich begreifen kann. Du bist hier aufgewachsen, kennst ihre Sitten und Bräuche, hast dich in ihre Welt wie ein Mosaiksteinchen eingefügt und ihr Leben gelebt.« Er drehte sich zu ihr um und fügte hinzu: »Und doch trägst du mehr Facetten und Farben an dir, als sie jemals haben werden. In meinen Augen bist du wunderschön und wirst es immer sein.«
Sie versuchte seinem Blick auszuweichen, als habe sie Angst, ihm mehr von ihrem Innersten zu offenbaren, als sie wollte.
»Nein, bitte. Schau nicht weg.« Er kniete sich vor sie und sah in ihre traurigen Augen. »Du und ich, wir gehören für immer zusammen. Wir sind die Einzigen, die noch den Mut hatten zu verweilen.« Wie abwesend blickte er zu Boden. »Die Einzigen ...« Die Erkenntnis schnitt tiefer in sein Herz.
Zum ersten Mal bemerkte sie bei ihm etwas wie Schmerz und unerfüllte Sehnsucht – und ihr Herz schlug noch heftiger.
Er hatte ihr von jenen erzählt, die wie sie waren. Jene, die man einst die Götter des Schicksals nannte. Sie waren die Schlüssel zu den Toren von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber alle waren fortgegangen und hatten die heiligen Orte ihres Wirkens einsam zurückgelassen, da sie für diese Welt keine Hoffnung mehr sahen. Doch zwei der Schicksalsgötter wollten die Apokalypse nicht akzeptieren und gingen hernieder auf die Welt, um dort auf den Tag zu warten, der nun immer näher rückte.
Langsam kniete sie sich zu dem jungen Mann, der nicht wie ein gnadenloser Krieger, sondern wie ein fühlendes Wesen wirkte. Erst zögerte sie, doch dann ergriff sie seine Hände, die er sich in den Schoß gelegt hatte. »Wir werden diesen Weg gemeinsam gehen, wohin er uns auch führen wird. Ich vertraue dir.« Sie versuchte, Sicherheit in ihre Stimme zu
Weitere Kostenlose Bücher