Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
gewesen. Seine Gedanken waren klar und nicht verstockt wie seine Worte. Seine krumme und verzogene Haltung schien in sonderbarer Weise nicht immer in seiner Erinnerung lebhaft zu sein. Es war ihm mit einem Male, als sei ihm sein eigener Körper mit einem Schlage fremd geworden.
Hierauf sammelte sich ein irgendwie verdorbenes Wissen in ihm, welches er nicht sich selbst zuzuzählen wagte, obschon es seiner Erinnerung entsprungen.
Seine Eltern hatten ihn verkauft, als er noch klein gewesen war – sehr klein. Firminus hätte Margarete Graft fragen mögen, um Gewissheit erlangen zu können, doch vermutlich war kein wahres Wort aus ihr herauszukriegen. Er war gesund gewesen, heil an Haut und Haar, an Knochen und Sehne ganz und gar.
Er zählte mehr Jahre als seine Verkrüppelungen, das war nun gewiss. Die Steife seiner Knochen und Muskeln, die Lähmung, die ihn gefangen hielt, das alles hatte er bereits einmal erlebt. Er war auch schon einmal auf dem letzten Heimgang gewesen, dessen entsann er sich nun erneut. Und er hatte ihn überlebt. Gebannt wie eine Statue, verzerrt wie eine Groteske, missgestaltet nach dem Vorbild eines widernatürlichen Starrkrampfes.
Kaltes Entsetzen packte Firminus. Margarete Graft hatte ihn vor Jahren schon einmal gepflegt. Sie hatte ihm wieder das Sprechen beigebracht, ihn Bewegungen und Mimik gelehrt, seine Muskeln massiert, ihn auf die Beine gestellt. Ihr verdankte er, dass er lebte und jeden neuen Tag wie ein Wunder begangen hatte.
Er war ihrer Obhut entflohen, hatte sein Leben fast im letzten Heimgang verloren und war nach der Genesung von dem Gas, welches Little Shepherd eingesetzt, missgestaltet gewesen. Eine Abnormität, die es wert gewesen wäre, im Bette zu ersticken. Doch Margarete Graft – ausgerechnet dieses selbstsüchtige Monstrum – hatte sich seiner erbarmt. Warum nur hatte sie das getan?
Es ließ Firminus keine Ruhe, obgleich ihm die Vollständigkeit seiner Erkenntnisse bereits den Atem raubte. Denn heuer hatte sich die Geschichte wiederholt. Erneut war der letzte Heimgang beschritten worden, wieder hatte das Gas ihn verunstaltet und statt den Hass und die Abneigung der Heimmutter seiner Torheit gegenüber noch zu mehren, nahm sie ihn erneut auf und begann, ihn zu pflegen. Ungeheuer, nannte er sich.
Firm schaute zur Tür. Ungeheuerlich, nannte er sie.
War es das, was der Geist von Little Shepherd ihm hatte sagen wollen? Firm wandte sich wieder den Papieren zu, denn es gab noch Notizen, die er nicht kannte. Da plötzlich vernahm er von nebenan ein Gerumpel, ein hohles Klatschen, als wäre etwas Schweres auf den Holzboden gefallen. Er konnte die Vibrationen sogar spüren. Dann wurde es schwerfällig, langsam, in kurzen, trägen Zügen über das Holz gezogen, sodass jedwedes Sandkorn darunter zu knirschen begann.
Firms Herz schlug laut und kräftig. Ein Lebenszeichen in dem Wohnraum verhieß ihm Rettung. Er war nicht allein. Er musste nur noch auf sich aufmerksam machen, und die Erlösung war nah.
Das Schleifen endete jäh, etwas erzitterte und knarrte vernehmlich, davon verklang hintennach das Zittern, das Knarren erstarb weit gemächlicher in einem matten Rhythmus.
Am Ende blieb allein das Rasseln von Firms Atem.
Und dann war es still, und Firm würgte an seiner Verbitterung. Alle Kraft nahm er zusammen, warf sich vom Bett fort in Richtung Tür und wusste doch, dass er nicht zu schaffen vermochte, was auch immer er vorhatte. Er wusste nicht wie, aber er gelangte zu dem Verschlag seines Zimmers, klopfte mit letztem Mut daran und versuchte zu rufen. Die kläglichen Laute, die seinen Mund verließen, mochten kaum als menschlich durchgehen und noch weniger laut genug sein, um von jemandem jenseits der Tür gehört zu werden. Doch er wollte nicht aufgeben.
Mochten Pein und Bitterkeit auch noch so stark an ihm nagen, er würde nicht ablassen, dies schwor er sich. Jedoch verließen ihn alsbald die Kräfte.
Er lag vor der Tür und war zu mehr nicht in der Lage. Firminus besann sich auf seinen Körper und seine Möglichkeiten. Und derweil fragte er sich, ob er die Geräusche wirklich gehört oder ob seine Hoffnung auf Rettung ihm etwas vorgegaukelt hatte. Aber er war sich sicher, das unheimliche Gedröhn aus dem Nachbarraum gehört zu haben. Man wollte ihn narren. Irgendjemand spielte hier grausame Spiele mit ihm, und lag es auch nahe, dass Margarete Graft es war, die sich an ihm zu rächen suchte, so blieb ihm doch unbegründbar gewiss, dass sie es nicht sei.
Plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher