Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
zappeln.
Unverhofft spürte er, dass sich seine Arme tatsächlich wanden, seine Beine sich bogen und streckten. Für den Bruchteil eines Gedankens nur freute er sich, dass sein Körper reagierte. Es war eine Chance. So klein und hoffnungslos. Dennoch ... er fühlte, wie seine Arme um sich schlugen, als wären sie von einem anderen Überlebenswillen als seinem eigenen beseelt. Sie rotierten auf der Suche nach dem Todfeind, doch sie stießen auf keine Gegenwehr und keinen Widerstand. Es war ihm, als schlüge er in luftleeren Raum. Noch immer keine Atemluft. Farbige Schlieren wischten über die Schwärze seines verschlossenen Blickfeldes. War er dem Tod in den letzten Tagen, Stunden und in seinem ganzen Leben derart oft von der Schippe gesprungen, nur um jetzt unter einem schmierigen Kopfkissen zu enden?
So machte es den Anschein ... seine letzten Kräfte erlahmten ... er drückte mit letzter Gewalt gegen die Kraft an, die seine Brust umklammert hielt und verhinderte, dass sich seine Lungen mit Luft füllen konnten. Dann wollte seine Besinnung weichen.
Und eben da ließ der Angreifer von ihm ab. Firminus atmete tief durch und erschrak sich vor dem röchelnden Geräusch, das seine Lungen erzeugten, als sie nach Luft pumpten. Abgekämpft schüttelte Firm das Kissen ab. Er fürchtete dabei, dem einfältigen Grinsen des Geistes ansichtig zu werden, doch als er sich umwand, fand er sich allein in dem Raum. Trotzdem hatte sich etwas verändert.
Die Tür war nur angelehnt. Ein kühler Windhauch zog mit einem ruhigen Pfeifen durch den Spalt.
Firm versuchte, sich zunächst zu sammeln und sich bewusst zu machen, dass seine Körperteile während seines Kampfes mit dem Unbekannten funktioniert hatten. Und als er nun versuchte, sie zu bewegen, gelang es ihm.
Zwar erschienen sie ihm träge und gefühllos, ohne große Kraft und mit Bewegungen, die unendlich langsam anmuteten, aber sie bewegten sich immerhin. Deshalb verleitete er sich, auf die Füße zu kommen. Dabei stützte er sich an der Liegefläche des Bettes ab und drückte sich in die Höhe. Und es gelang.
Firm schwitzte furchtbar. Er war nass bis auf die Haut, als habe er hohes Fieber, doch das Glück, der Lähmung entkommen zu sein, die er für die Ewigkeit gewähnt hatte, berauschte ihn auch. Es gab eine Möglichkeit. Eine Gelegenheit nur, diesem unseligen Ort zu entkommen. Und sie war nicht länger klein und hoffnungslos.
Das Vertrauen in die Kraft seiner Glieder war noch nicht vollkommen, und dennoch wagte er einen Schritt vom Bett weg. Es gelang. Er stand frei im Raum. Freilich wankte er, aber es minderte diesen Erfolg keineswegs. Firm war zumute, als müsse er laut lachen, jedoch vermied er es.
Am nächsten Schritt scheiterte er dann. Er verlor das Gleichgewicht und fiel vornüber, sodass er wieder auf allen vieren war. Noch immer hatte er kaum Gefühl in den Gliedmaßen und offenbar auch nicht genug Kraft, der Wille aber, diesen Ort zu verlassen, war ungebrochen.
Firm kroch also zur Tür und zog sie auf.
Da schlug ihm bereits der furchtbare, süßliche Gestank von Fäulnis entgegen. Entsetzlich schwer und scharf war er. Die tollenden Kinder und das prasselnde Feuer waren verschwunden. Der Wohnraum war trübe, kalt und verpestet. Und seine Ruhe war gespenstisch, als wäre er in den Mühlen der Zeit zermahlen und vergessen worden.
Firm sah sich um, und der Schock, der ihn traf, hätte ihn fast umgeworfen. Von einem Deckenbalken hing an einem Strick der verrottende Leichnam von Margarete Graft.
* * *
Einiges Furchtbare hatte Firm in seinem Leben bereits gesehen. Wenn man in den Straßen von London lebte, dann kannte man nicht nur Schmutz und Gestank. Man war auch vertraut mit jeder Form von Tod und Verbrechen. Firminus Becket hatte schon tote Schweine und Hunde in den Straßen gefunden, verwest oder angefressen, das man zuweilen nicht gewusst hatte, wo der Kadaver anfing und der Dreck aufhörte. Ihm waren Menschen begegnet, die schreckliche Gräueltaten begingen, ohne dass es ihnen aufgefallen wäre. Hätte er nicht bei all dem Übel noch etwas empfunden, Gefühle und Emotionen wären für ihn ein fehlgeleiteter Volksglaube gewesen, den er missfällig vermerkt und spottend abgetan hätte. Doch Firm empfand etwas dabei und ward stets erschüttert von den Grausamkeiten, die um ihn herum geschahen.
Diese Gräuel aber brachten ihn vollkommen aus der Fassung. Er musste hinsehen, auch wenn er noch so oft versuchte, sich abzuwenden, und würgte und schluckte, damit
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