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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisha Bionda
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aber war er bereit, sich loszulassen und aufzugeben. Wie eine große Freiheit empfing er das Gefühl, gebrochen worden zu sein. Es überraschte ihn, wie leicht es war, loszulassen, sich zu fügen und herzugeben. Er sank in einen traumlosen Schlaf.
    * * *
    Es war eine goldene Birne. Sie hatte einen vollen Körper und nur einen kurzen, schlanken Hals, aus dem ein kleiner Stiel ragte. Ihre Haut war matt und mit kupfernen Stippen wie mit Sommersprossen übersät. Und sie verströmte einen unglaublichen Duft, der Firminus aus seinem Schlaf erweckt hatte. Der Geruch stieg ihm in die Nase und weckte längst verblichene Erinnerungen an den Geschmack dieses Obstes.
    Als Kind war ihm einmal eine Birnenspalte in die Hände gefallen. Er hatte sie im Müll reicher Leute gefunden, sie gereinigt und lüstern vertilgt. Danach hatte er den Rest des Tages und auch noch den darauf folgenden nichts mehr gegessen, um die Süße nicht aus seinem Mund und seiner Erinnerung zu verlieren.
    Jetzt aber stand aufrecht, makellos und rein eine ganze Frucht in ihrer verlockenden Vollkommenheit einfach vor seinem Gesicht. Er war entzückt, aber auch hungrig. Firm hob den Kopf, streckte den Hals wie eine Schildkröte und biss ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, wer ihm dieses Glück beschert und was er damit bezweckt, hinein, dass ihm der Saft an den Gaumen spritzte. Die Birne war weich und schon mit der Zunge zu zerdrücken. Sie schmeckte unsäglich süß. Schmatzend und gierig machte sich Firm über das Obst her, dessen Mark ihm das Kinn hinabrann. Fast beschämte es ihn, dass er wie ein Tier fraß, doch es war ihm einerlei. Hunger und Durst kannten keine Etikette.
    Es bekümmerte ihn am Ende, wer ihm das Stück Frucht überlassen und zu welchem Zwecke er es getan, doch auch das war ihm gleich.
    Hunger und Durst kannten keine Bedenken.
    Und wäre das Obst vergiftet gewesen, welch süßeren Tod konnte man sterben, wenn nicht einen solchen?
    Als Firminus restlos alles, selbst den Stiel gegessen hatte, fühlte er sich ein wenig besser. Der alte Wille kehrte in ihn zurück. Er sammelte sich kurz und beschloss abermals, seinen Mut und seine Unbeugsamkeit nicht aufzugeben. Er hatte es bereits einmal geschafft, die Lähmung zu bekämpfen. Zwar war ihm damals Hilfe zuteil geworden, doch jetzt, da er sich erinnerte, gab es ihm die nötige Kraft, sich aus eigenen Stücken daran zu begeben.
    Und wenn er es genau betrachtete, so mutete es ihm an, als neige der Geist von Little Shepherd dazu, ihm seine eigene Art der Hilfe feilzubieten. Eben deshalb war an Aufgabe nicht zu denken.
    Firm robbte wieder zum Bett, um endlich alle Geheimnisse in Erfahrung zu bringen. Das Wissen um die Wahrheit schien eine wichtige Rolle zu spielen, sodass er sich ihr nicht zu entziehen vermochte. Zwei Notizen waren verblieben, die es noch zu lesen galt. Eine Aufzeichnung war auf einem Fetzen Papier geschrieben, den man wohl mal aus einem Buch gerissen und anschließend zerknüllt hatte. Auf ihm stand in nahezu unleserlicher Kritzelei:
    ...sich seinem Vater gegenüber so zu verhalten. Hilfe hatte ich erwartet, und er dankt es mir so. Mit ihm kam das Unglück in mein Leben, sein Schatten verfolgte mein Heil und das meiner armen Anne, geliebte Anne. Wir schenkten ihm das Leben, und er gab uns nur das blöde Grinsen und das nichtsnutzige Kind von ungeheuerlicher Größe zurück. Dreißig Jahre lang. Dreißig lange Jahre lang. Haben zwei Menschenleben derart viel Kummer verdient, dass alles darüber hingeht? Alles, was wir uns erträumt und erhofft hatten? Ich dachte, wir seien ihn endgültig los. Doch er trat nach all den Jahren plötzlich an mein Krankenbett wie zum Hohne, nannte mich Vater und hat bald jenen und seine Mutter auf dem Gewissen. Doch welch ein Gewissen geht mit so einem schon zu Gerichte? Er soll arbeiten. Er soll mir etwas zurückgeben von dem, was er mir genommen hat. Ich habe es ihm gesagt. Soll er sich schinden für seinen alten und kranken Herrn. Und er? Er zuckte nur mit seinen riesigen Schultern und sah mich freudestrahlend an. Nichts hat er verstanden. Da habe ich ihm mit letzter Kraft den gusseisernen Topf an seinen blöden Schädel geworfen. Ach Anne, hätt’ ich doch nur ...
    Die Mutter tot, der Vater krank, engherzig und im Grunde machtlos, einem erwachsenen Kind von neun Fuß Größe zu geben, wonach es verlangt haben mochte. Etwas Liebe und Zuneigung, ein Heim. Ein Wunder? Wie erschrocken und elend mochte es da Little Shepherd ergangen

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