Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
geht um die Lösung des Knotens. Mein einziges Interesse liegt in der Heilung der gebrochenen Mädchen. Und fragen Sie mich nicht nach dem Grund für diese einseitige Verteilung. Das weibliche Geschlecht scheint anfälliger gegenüber Einflüssen aus der anderen Welt zu sein. Lassen Sie es mich durch ein Bild erklären: Diese Zartheit der Form spricht der Schönheit in der Natur ein eindeutiges Zuwort. Einfacher kann ich es nicht ausdrücken.«
»Ist schon recht. Ich glaube, ich weiß, was Sie mir damit sagen wollen.«
»Sicher ist viel Trubel mit dabei. Das Theater bei meinen Heilungen muss sein, dass die einfachen Leute auch was von meiner Kunst haben.«
»Mich interessiert nur, ob Sie Marie von ihrer Stille heilen können!«
»Dazu muss ich sie erst selbst sehen. Sie müssen sie schon in die Stadt bringen. Ich kann es mir aufgrund meiner zahlreichen Verpflichtungen nicht leisten, auch nur für einen Tag meine Praxis zu verlassen. Das müssen Sie verstehen.«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt.«
»Warten Sie nicht zu lange. In diesen Fällen sind Tage oft von großer Wirkung.«
* * *
Sie spürte Hunger, hatte aber keine Lust, sich etwas zuzubereiten. So ging sie in die Speisekammer und kehrte mit einem halb verfaulten Apfel zurück. Sie nahm das Messer und schnitt die unappetitlichen Stellen weg und verschlang den Apfel. Ihr Beschützer war einfach weggefahren und hatte sie im Wald alleine gelassen. In den Kellern, in den Gewölben, in dem Wald wandelst du. Die Zeit verging schleppend. Marie kroch in ihre Ecke und wärmte sich am Kamin, der längst keine Kohle mehr führte, denn der Frühling kündigte sich an. Vögel zwitscherten am Morgen, und in der Nacht meldeten sich bereits erste Grillen. Bis zu schwülen Nächten mussten noch einige Wochen vergehen. Marie spürte eine Ungeduld. Sie versuchte, sich zu beruhigen, indem sie auf ihren Lippen herumkaute und von Zeit zu Zeit eine kleine Melodie pfiff. Nach einer kurzen Weile packte sie eine Wut; sie wusste nicht, woher. Grassow war nicht zugegen – sie konnte ihn nicht durch heftiges Schlagen auf den Boden herbeirufen. Marie näherte sich einer Ohnmacht. Ihre Lippen liefen blau an, ihre Pupillen drehten sich zu Weiß, ihre Finger fuhren durch das Haar. Büschel blieben in ihnen hängen, als sie wieder aus ihnen herausfuhr und mit der flachen Hand auf die Fliesen schlug. Danach betastete sie die Täfelung des Kamins. Ihr Mund formte sich zu einem stummen Schrei. Zornig schlug sie mit der Handinnenfläche gegen ihre Stirn und fing zu schluchzen an. Der Schlag war doch ein wenig zu heftig gewesen.
Ein seltsamer, modriger Gestank stieg ihr in die Nase. Sie kannte ihn. Da stand der Gnom, wie er ihr bereits erschienen war. Sein Gesicht wies noch dieselbe Rötung auf. Er sprach nicht, sondern sandte Marie seine Worte in den Schädel. Dieser fing zu brummen an, als hätte sie Kopfschmerzen – und sie erfuhr: Dein Leben wird bald erst beginnen. Dein Körper stirbt, die Kohle von gestern verglüht. In heißen Küssen erschauert dein Leib. Wir haben Hunger. Appetit auf Menschenfleisch, geröstet im Schmerz der Tage. In der Nacht wirst du zittern vor jedem neuen Sonnenaufgang.
Marie hielt sich den Kopf. Das konnte nicht sein. Diese Sätze ergaben keinen Sinn. Sie fing zu brüllen an, um den Wicht zu vertreiben. Der blieb jedoch unbeeindruckt. Sie drehte sich um, griff aus dem Kamin Kohlenstücke und warf sie auf die groteske Gestalt. Diese fauchte ein letztes Mal und verschwand. Marie stürzte nach hinten. Sie hörte während ihrer Dämmerung auf dem kalten Fliesenboden Stimmen weitersummen. Komm weiter, tief im Wald findest du uns. Dort hausen wir seit Menschengedenken. Grausam sind unsere Zähne. Wir graben sie tief in das Fleisch deiner Feinde. Wir stehen unter dir. Gib Acht, dass du nicht unter uns zu liegen kommst. Wir reißen deine Brust auf, wir zerfleischen deinen Mutterleib. Unsere funkelnden Augen siehst du im Dunkeln. Dorther kommen wir. Gib Acht, kleines Mädchen Marie, müde Monstren gieren nach deiner Süße.
* * *
Grassow fand sie bewusstlos auf dem Boden der Küche. Er beugte sich über sie und drehte sie auf den Rücken. Durch Einsatz von Riechsalz kam sie langsam wieder zu sich. Zunächst konnte sie die Augenlider nur schwer bewegen. Grassow nahm Marie und legte sie aufs Bett. Dort zog er ihr das Überkleid aus und bedeckte sie. Durch die Wärme der Daunen erwachte sie vollends und blickte mit traurigen Augen ihren Retter an.
»Nun,
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