Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
war schon lange keinem mehr gelungen.
»Dein Tod«, erwiderte sie ruhig.
»Warum?«
Erklärungen wären angemessen gewesen, hätten in diese neue Zeit gepasst, in der Menschen nicht mehr glaubten, sondern wissen mussten.
Doch es gab keine. Sie tat es nicht aus Rache, nicht aus Lust, nicht aus Langeweile. Sie hatte sich entschieden, vor langer Zeit, und so blieb es nun für immer. Alles würde ausgemerzt werden, jede Linie, jedes noch so versteckte Kind. Sie jagte und vernichtete die Nachkommen, die jungen und schwachen, aber auch die alten und starken.
»Weil ihr alle sterben müsst.«
»Und dann?«
Dann würde sie schlafen können. Ein letztes Mal den Tag sehen, nach all den Jahrhunderten. Die Sonne begrüßen, deren Anblick sie schon fast vergessen hatte. Den Kreislauf beenden, die ewige Nacht in einen allerletzten Morgen führen.
Sie sagte es ihm nicht.
Ihre Lippen fanden seinen Hals, ihre Zähne kratzten über seine Haut. Ein Echo alter Lust ertönte in ihr, ein fernes Kribbeln, das schnell wieder erstarb. Sie hatte es aufgegeben, danach zu suchen. Ergeben schloss sie die Augen für den letzten Akt des Spiels.
Sie fühlte sich herumgewirbelt. Kalter Boden schlug gegen ihre Schulter, Finger hart wie Stahl drückten sie nieder. Er kniete über ihr, sein Lächeln war breit und beinahe warm. Sie wehrte sich, doch sie konnte ihm nicht entkommen.
»Wer bist du?«, fragte nun sie.
»Dein Tod.«
Sie lächelte, als er ihren Hals entblößte.
Barbara Büchner
Meine beruflichen Wege kreuzten sich mit Barbara Büchner, die 1950 in Wien geboren wurde, das erste Mal, als wir 1999 beide Jugendfantasyromane in der »Editon Märchenmond« des Ueberreuter Verlages veröffentlichten.
Ihr erstes Buch erschien jedoch bereits im Jahre 1988. Zuvor hatte sie sich zur Dokumentarin ausbilden lassen und in England und Irland als Übersetzerin gearbeitet.
Barbara Büchners Art, auf subtile und sehr filigrane Art phantastische Romane zu verfassen, stach mir sofort positiv ins Auge. Ihre Liebe gilt dem Detail und nicht der Effekthascherei.
Barbara Büchner begann als Jugendbuchautorin, verfasste aber auch Sachbücher und schreibt heute vorrangig für Erwachsene, ist aber auch als Ghostwriterin tätig.
Ihr Interesse gilt vor allem der Kriminalistik und Medizingeschichte, was man auch ihren historischen Romanen und Thrillern anmerkt.
Seit 2005 veröffentlicht sie unter dem Pseudonym »Julia Conrad« die »Drachen« Fantasy-Trilogie bei Piper und weitere Titel im Brendow Verlag. Sie ist seit geraumer Zeit in einigen meiner Anthologien vertreten; ebenso mit dem All-Age-Phantastikroman »Der schwarze See« in meiner beim Sieben Verlag herausgegebenen Reihe »ARS LITERRAE«.
members.chello.at/barbara.buechner
Unter dunklen Schwingen –
zieht dich die Blutgräfin in ihren Bann
Barbara Büchner
Julia starrte ihren jungen Ehemann Jan entgeistert an. »Du bist ja wohl verrückt geworden! Du willst den ganzen Sommer in einem finsteren alten Spukschloss herumhocken, in dem man von Glück reden kann, wenn einem nicht die morsche Decke auf den Kopf fällt? Nicht mit mir! Dort gibt es garantiert kein warmes Wasser und keine ordentliche Küche. Dafür aber Ratten, Kakerlaken und Schimmelpilze! Schlag dir die Idee aus dem Kopf, auch wenn Markus von Weldern dein bester Freund ist! Er soll sich jemand anderen suchen, der seine vergammelte Bibliothek in Ordnung bringt!«
Jan bemühte sich, sie zu beschwichtigen. Er zog sie liebevoll in seine Arme und streichelte ihr lockiges, nussbraunes Haar. »Schau, mein Schatz ... du weißt doch genau, wie schwer es für einen Bibliothekar ist, einen neuen Posten zu finden. Überall wird Personal abgebaut, nirgends gibt es offene Stellen. Ich bin froh, dass Markus mir den Job angeboten hat, seine Bibliothek auf Vordermann zu bringen. Und Heidebrock ist kein verfallenes Gemäuer, sondern in einem recht guten Zustand. Die Burg wird von einem Verwalter und seinem Sohn bewohnt, und ...«
Julia hatte angriffslustig die Arme vor der Brust verschränkt. »Wie viele Kilometer sind es bis zum nächsten Außenposten der Zivilisation? Wir haben kein Auto, vergiss das nicht.«
Jan gab zögernd zu, dass es »ziemlich weit« bis zum nächsten Bahnhof war. Die Burg lag in dem dichten, geheimnisvollen Forst des Waldviertels, nahe an der österreichisch-tschechischen Grenze. Da dort bis vor kurzem der Eiserne Vorhang verlaufen war, hatte der Fremdenverkehr das Gebiet links liegen gelassen. Niemand wollte in
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