Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Schlafgemach eingemauert zu werden’, verkündete der Bischof mir. ‚Eure Aufgabe wird es sein, sie zur Reue zu bewegen. Es ist ans Licht gekommen, dass die Gräfin Samantha einen Pakt mit der Hexenkönigin Astarte geschlossen hat. Ich habe mit eigenen Augen das Dokument gesehen. Es war auf die Haut eines neugeborenen Kindes geschrieben, mit einer Tinte aus dem Saft der Tollkirschen. Sie trug diesen Vertrag immer in ihrem Mieder eingenäht, und ich weiß, dass sie jeden ihrer grausamen Morde dem Satan und Astarte aufopferte.’
‚Was wurde aus dem Schriftstück?’, fragte ich.
‚Es wurde mit ihr zusammen eingemauert. Ihr wisst, dass kein Dritter mit Gewalt einen Dämonenpakt brechen kann. Es hätte nichts genützt, selbst wenn ich es ihr weggenommen und verbrannt hätte. Es verschwand in den Schatten mit ihr.’
Nachdem Bischof Severin mir das erzählt hatte, führte er mich in den Ostturm, den man früher den Schönen Turm nannte. Wir gingen eine Stiege hinauf und einen sehr langen Flur entlang, der vom Haupthaus zum Turm führte. Am Ende befand sich eine zugemauerte Tür, mit einem einzigen Schlitz knapp über dem Boden, durch den man Essen hineinreichen konnte. Als nun das Licht der Laterne den Gang beleuchtete, erhob sich hinter dieser zugemauerten Tür ein Heulen und Brüllen, ein Scharren von Nägeln und Knirschen von Zähnen, als wären wilde Bestien dort eingesperrt. Bischof Severin hatte alle Fenster und Türen des Schlafgemachs zumauern lassen, sodass die Verurteilte tatsächlich in der Finsternis ewiger Schatten lebte.
Eine schreckliche Strafe!
Ich saß‹, erzählte der alte Mönch Romuald, ›viele Tage und Nächte vor der zugemauerten Tür. Ich betete einen Rosenkranz nach dem anderen und versuchte, mit der Frau in dem stockfinsteren Kerker zu sprechen. Sie antwortete mir jedoch nur mit dem Geheul und Gebrüll einer Tigerin und so grausamen Flüchen, dass mich der Mut verließ. Ich war schließlich froh, als mein Abt mich wieder hierher in den Frieden unseres Klosters berief. Jahre später hörte ich, dass die Gräfin im Wahnsinn gestorben und in der Familiengruft beigesetzt worden sei. Was aber die Herrschaft auf Heidebrock betrifft, so darf dort keine Frau mehr Herrin sein, denn ihre Gegenwart würde die teuflische Gräfin Samantha aus ihrem Todesschlaf erwecken, und die Vampirplage würde von Neuem über das Land hereinbrechen.‹«
Julia hatte angespannt zugehört. Das Gefühl des Unheils, das sie früher schon bedrückt hatte, kehrte wieder. Sie schüttelte es jedoch mit Gewalt ab. Vielleicht war das Ganze ja nur eine der vielen Schauergeschichten, die man sich von alten Burgen erzählte! Und selbst wenn sich die Ereignisse so abgespielt hatten, so war das alles vor langer, langer Zeit geschehen – im finsteren Mittelalter, als man noch an Hexen und die Wirkung eines Teufelspaktes glaubte.
»Armer Markus«, sagte sie. »Das muss ja ein scheußliches Gefühl sein, mit einer solchen Familiengeschichte zu leben.«
Jan nickte. »Du weißt doch, dass er verlobt ist. Aber in seiner Familie hält man seit ewigen Zeiten an dem Aberglauben fest, dass keine Frau als Herrin auf Heidebrock wohnen darf. Wenn die Burgherren heirateten, zogen sie mit ihren Frauen in ihr Stadtpalais nach Wien. Nur Junggesellen und Witwer wohnten auf der Burg. Sie hatten Angst, die teuflische Gräfin könne erwachen und mit ihrem Gefolge von Vampiren über das Land herfallen.« Er blickte Julia unglücklich an. »Ich hätte dir das lieber nicht erzählen sollen. Jetzt hast du sicher Angst, auf die Burg zu fahren.«
Julia schluckte. Es stimmte – sie hatte Angst. Aber wenn sie sich jetzt weigerte mitzufahren, würde Jan den ganzen Sommer unglücklich und verdrossen herumhocken und seinen Groll an ihr auslassen. Außerdem brauchten sie dringend Geld. Sie schlang die Arme zärtlich um den Hals ihres Mannes. »Unsinn. Ich fürchte mich nicht vor Gespenstern. Und jetzt lass uns überlegen, was wir packen müssen!«
* * *
Der Schnellzug brachte sie in das schöne alte Städtchen Gmünd an der tschechischen Grenze. Früher hatten sich kurz hinter der Stadt mächtige Betonwälle und Wachtürme erhoben. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs waren diese Bastionen abgerissen worden. Die Gegend machte jedoch immer noch einen einsamen und deprimierenden Eindruck. Um das alte Schloss zu erreichen, das Markus von Weldern geerbt hatte, mussten sie auf eine Nebenstrecke umsteigen. Der Zug bestand nur aus zwei Wagen, die beide leer
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