Unter feindlicher Flagge
Kursänderung für Sie, Dryden« oder »Ein beredtes Maß Rum für Sie, Sir.« Er debattierte gern mit den anderen, beharrte jedoch nie auf seiner Meinung, wenn er erkannte, dass der Gesprächspartner letzten Endes recht hatte. Hayden war mit den anderen Offizieren einer Meinung, dass Williams eines Tages ein guter Offizier geworden wäre, wie man es immer über die jungen Gentlemen sagte, die zu früh aus dem Leben schieden.
Gegen Nachmittag wich der Nebel weiter zurück, und als die Dämmerung anbrach, verschwand der Nebel ganz.
»Wie sollen wir die Themis jetzt bloß finden?«, klagte Barthe. »Den ganzen Tag über Nebel, und jetzt wird's dunkel. Wenn wir sie nicht in der Nacht überholen und vor ihnen in Brest ankommen, sind sie uns entwischt, Mr Hayden.«
»Segel in Sicht!«, rief Wickham von oben. »Voraus!«
Hayden eilte so weit nach vorne, bis er den Midshipman sehen konnte. »Ist das die Themis?«
»Vermag ich nicht zu sagen, Mr Hayden.«
Als Hayden endlich oben an der Saling der Vorbramrah ankam, hatte sich die Dämmerung bereits über das Wasser gelegt. Ganz schwach war noch ein blasser, womöglich rechteckiger Fleck zu erkennen. Hayden hatte keinen Zweifel, dass Wickham recht hatte - dort war ein Schiff. Aber war es die Themis? Diese Frage stellten sich alle an Bord.
»Sie sind genau auf unserem Kurs, Sir«, stellte Wickham fest, »und haben keine Bramsegel gesetzt, obwohl der Wind das zulässt. Könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie unterbesetzt sind.«
»Am Spieltisch hatte ich noch nie viel Glück, aber vielleicht auf See, Mr Wickham. Ich denke, es ist unser Schiff. Bleiben wir in ihrem Kielwasser, so lange es geht.« Als Hayden wieder das Deck erreichte, funkelten schon die Sterne am Himmel. Ein wahres Lichtermeer zog hoch über ihren Köpfen auf, und die Sterne standen so dicht an dicht, dass manch ein Seemann staunte.
Hayden ahnte, dass sie nur dann eine Chance hatten, das andere Schiff einzuholen, wenn sie ihren Kurs geschickt beibehielten. Er und Mr Barthe teilten die besten Vollmatrosen für das Steuerrad ein, aber da sie insgesamt zu wenige Leute waren, wechselten sich auch der Master und Hayden am Ruder ab. Es machte Hayden nichts aus. Tatsächlich stand er hin und wieder ganz gern am Steuerrad, doch als Offizier war ihm dieses kleine Vergnügen nicht vergönnt. Sobald er die Speiche in der Hand hatte, überkam ihn das Gefühl, als atme das Meer unter ihm. Dann spürte er, wie sich die Brust der See hob, wenn die Wogen das Schiff forttrugen und wieder in ein Wellental senkten. Der Wind strich über seinen Nacken, während Hayden steuerte und spürte, wie die sich blähenden Segel das Schiff vorantrieben.
Die Schiffsglocke ertönte in der Nacht. Midshipmen ermittelten die Geschwindigkeit mithilfe des Logs und markierten die geschätzte Position auf einer Karte.
Landry trat zu Hayden ans Steuerrad. »Die Männer, die keine Wache haben, sind in ihren Hängematten, Sir.«
»Danke, Mr Landry.« Bald wurde Hayden von Barthe am Steuerrad abgelöst. Er überließ Landry das Deck und stieg hinab in die Kajüte des toten Kapitäns. Diesen Ort hatte er bislang gemieden, aus Gründen, die er nur ungern auszuloten gedachte.
Fünf Kerzen in einem silbernen Kandelaber erleuchteten den Tisch. Der weiche Schein fiel in die Ecken der Kabine, die schwer unter der Kanonade der Lucy gelitten hatte. Ein verzierter Untersetzer lag auf dem Tisch, und sofort fiel Hayden ein, dass Williams auch diesen Gegenstand als »beredt«, bezeichnet hätte. Bis auf eins waren sämtliche Heckfenster der Galerie in dem Beschuss zerstört worden und nun mit festen Brettern verschlagen und kalfatert. Vor dem noch intakten Fenster saß Giles Sanson - der Sohn des Scharfrichters. In Händen hielt er etwas Rechteckiges, was Hayden aufmerken ließ.
»Monsieur Sanson?«
» Capitaine Hayden«, erwiderte der Mann, schaute aber weiterhin unverwandt auf den Gegenstand in seiner Hand. »Ich glaube, ich sagte Ihnen ja, dass mein Capitaine mich vor meinen Landsleuten beschützte - und doch habe ich ihn verraten. Ist das nicht eigenartig? Vielleicht ist es ja so, wie die anderen sagen: Ich bin befleckt, mein Blut ist unrein von den Tausenden Morden, die meine Familie beging. Ich bin von Natur aus ein böses Wesen, verflucht im Angesicht Gottes.«
»Ein Mensch wird an seinen Taten gemessen, nicht an seinem Blut«, sagte Hayden. »Haben Ihre Landsleute nicht aus diesem Grund ihren König und Adel abgeschafft?«
»Ja - mag sein.«
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