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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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Er schwieg einen Moment lang. »Was wird mit mir geschehen, wenn wir in England sind?«
    »Sie werden ins Gefängnis kommen, wahrscheinlich auf eine Hulk.«
    »Mit meinen Landsleuten?«
    »Ja, bis es einen Gefangenenaustausch gibt. Es tut mir leid.«
    Der junge Mann nickte, als habe er all das längst geahnt. »Mein Vater sagte, dass ich mich meinem Schicksal nicht entziehen könne. Und vielleicht hatte er recht.« Er hielt den Gegenstand hoch, den er in der Hand hatte. »Das Signalbuch meines Capitaine, Monsieur. Ich sollte es ins Meer werfen, tat es aber nicht, in der Hoffnung, Kapital daraus zu schlagen. Um mir Schutz zu erkaufen vor meinen eigenen Landsleuten.« Er stand auf und legte das Buch vorsichtig auf den Tisch. »Das ist für Ihre Freundlichkeit. Wenden Sie nicht meinetwegen das Schiff, Capitaine Hayden«, sagte er leise. »Meine Taschen sind mit Traubengeschossen gefüllt.« Mit diesen Worten schob er das Fenster hoch und stürzte sich ohne zu zögern in die dunkel schillernde See. Langsam glitt das Fenster hinter ihm zu. Hayden eilte noch zur Galerie, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen, aber er sah nur hinab auf den weißlich leuchtenden Kielschaum inmitten des schwarzen Wassers.
    »Der arme Kerl«, entfuhr es ihm mitfühlend. Er wusste zwar, dass es eigentlich seine Pflicht war, das Schiff zu wenden und die Suche einzuleiten, aber er wusste auch, dass sie den Mann nie finden würden. Sanson war zu den Tausenden Opfern seiner Familie getreten.
    Jemand klopfte an die Kajütentür. Auf ein »Herein« von Hayden ließ der vor der Tür postierte Seesoldat Mr Archer eintreten.
    »Sir«, sagte der junge Mann und hatte vom eiligen Klettern unter Deck ganz gerötete Wangen, »vom Quarterdeck hieß es, etwas sei aus Ihrer Kajüte gefallen. Man hat ein Platschen gehört.«
    »Das war Sanson.«
    Archer blickte etwas verblüfft drein. »Der Zigeuner, Sir?«
    Hayden nickte. »Er stürzte sich aus dem Fenster.«
    »Soll ich Befehl zum Wenden geben, Sir?«
    »Nein, Mr Archer. Sanson hat sich Traubengeschosse in die Taschen geladen. Wir würden ihn nicht mehr finden. Sagen Sie Mr Barthe, er soll es im Logbuch vermerken. Der Diener des französischen Kapitäns, ein gewisser Giles Sanson, wahrscheinlich aus Paris stammend, nahm sich das Leben. Bedingt durch die Umstände seines Todes, die ich Ihnen erläutert habe, wurde keine Suche veranlasst.«
    »Aye, Sir.« Archer war schon halb zur Tür hinaus, hielt dann aber auf der Schwelle inne. »Warum hat er das getan, Mr Hayden?«
    »Er war sicherlich ein guter Mensch, der sich aber aufgrund seiner Herkunft ungerecht verfolgt fühlte.«
    »Sie meinen, weil er ein Zigeuner war?«
    »So etwas in der Art, ja.«
    »So viel also zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.«
    »Genau, so viel dazu.«
    Archer tippte an seinen französischen Hut, ging hinaus und schloss die Tür. Hayden nahm das Buch, das auf dem Tisch lag. Es wog einiges, da es mit Blei eingeschlagen war. Innen waren die Signale des Feindes aufgelistet - dieses Buch würde die Admiralität gewiss gern in ihren Besitz bringen, auch wenn der Vorteil, den man sich davon versprechen durfte, nur von kurzer Dauer sein würde.
    Schließlich sank Hayden schwer auf einen Stuhl und machte sich erst jetzt bewusst, wie unglaublich erschöpft er war. Während der letzten vierundzwanzig Stunden war zu viel passiert, und Hayden hatte kaum geschlafen. Und nun hatte dieser schwermütige Franzose den Tod in die Kajüte getragen. Hayden ging durch den Kopf, dass er ungemein erleichtert wäre, wenn diese verfluchte Fahrt bald ein Ende hätte.
    Wieder klopfte es leise an die Tür. Herein kam sein Schreiber Perseverance Gilhooly, der ein Tablett mit Essen brachte.
    »Französisches Essen, Sir«, sagte der Junge und ließ sich seinen Widerwillen anmerken, »aber Mr Wickham meinte, es würde Ihnen nichts ausmachen.«
    »Schon in Ordnung, Perse. Du wurdest bei der Meuterei nicht verletzt?«
    »Kaum, Sir, doch ich kämpfte neben den Midshipmen und Mr Barthe in der Messe.«
    »Gut gemacht, Perse.«
    »Danke, Sir. Brauchen Sie dann noch etwas?«
    »Nein, danke. Wo ist Joshua?«
    Der Junge zögerte, trat an der Tür unsicher von einem Bein aufs andere und sah mit einem Mal ganz blass aus. »Er - ist aus dem Leben geschieden, Mr Hayden.«
    Unwillkürlich fasste Hayden sich an die Stirn, wie unter Schmerzen. »Das tut mir leid«, antwortete er leise. »Wie ist es dazu gekommen?«
    »Ich habe es nicht selbst gesehen, aber ich hörte, dass

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