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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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es sehr«, sagte nun der sonst so stille Hobson.
    Hayden wandte sich dem jungen Leutnant zu, der damit beschäftigt war, das Fleisch auf seinem Teller zu zerteilen. »Stimmt das, Mr Archer? Wie beurteilen Sie das Buch?«
    Archer tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab und überlegte einen Augenblick. »Meiner Ansicht nach enthält Burkes Schrift mehr gesunden Menschenverstand als die Werke dieses Paine, der ja bei den Radikalen so beliebt ist ...«
    »Burke gehört doch auch zu den Radikalen!«, warf Landry ein. Der Zweite Leutnant richtete sich auf seinem Stuhl auf und sah Archer finster an. Doch Archer schien nicht sonderlich eingeschüchtert zu sein. »Er unterstützte die Sache der amerikanischen Kolonisten und hätte aufgrund seines Verrats aus England verbannt werden müssen. Soll er doch in Amerika leben, wenn es ihm dort so gut gefällt! Wären die Amerikaner nicht so erfolgreich gewesen, hätten sich die Franzosen nie gegen ihren König aufgelehnt. Aber jetzt ist es wie mit einer Seuche, die sich von einer Nation zur anderen ausbreitet. Die Franzosen sind entschlossen, diese Krankheit in die Niederlande zu tragen, ja sogar zu uns über den Kanal. Und dann wird die Guillotine mit auf Reisen gehen, denn die Radikalen sind immer erpicht darauf, die Höhergestellten zu ermorden. Ja, sie werden jeden ermorden, der sich kritisch zu ihren Exzessen äußert!«
    »Wenn Sie sich die Zeit genommen hätten, Burkes Reflections zu lesen, Mr Landry, dann hätten Sie festgestellt, dass Burke weit davon entfernt ist, Mitglied des Revolutionären Clubs zu sein«, verteidigte Archer sich. »Und ich möchte Sie daran erinnern, dass es in Amerika keine Guillotine gegeben hat. Es war sogar so, dass die meisten Königstreuen das Land verlassen durften.«
    »Oh, ich sage euch, Amerika wird nicht gedeihen«, weissagte Landry. »Sie werden schon sehen. Die Kolonien werden sich gegenseitig zerfleischen, aus Eifersucht und Gier. Ohne die englische Gesetzgebung wird die ach so gepriesene Solidarität der Kolonisten bröckeln, und zwar dann, wenn sich ein Ungleichgewicht beim Wohlstand und bei der Machtausübung abzeichnet. Ja, die Kolonien werden sich untereinander den Krieg erklären.«
    »Ich denke, sie werden außerordentlich gut gedeihen«, meinte Wickham. »Und sie werden schnell den großen Mächten Europas gewachsen sein.«
    Landry machte eine abfällige Handbewegung, als wolle er einen Schwarm lästiger Insekten vertreiben. »Der Radikalismus ist eine Krankheit«, betonte er. »Sie haben es doch alle gestern an Bord unseres Schiffes erlebt. Die Männer kommen nicht ihren Pflichten nach, wie sie es sonst taten, sondern befolgen die Befehle mit einem Ausdruck von frecher Anmaßung auf ihren versoffenen Rumgesichtern. An Bord der Schiffe Seiner Majestät wird es zu Meutereien kommen. Hört auf meine Worte. Die Aufwiegler müssen alle gehängt werden, denn nur das ist das Mittel, das diese Krankheit heilt. Ja, die Männer werden gehängt werden.«
    Einen Moment lang senkte sich drückendes Schweigen auf die Tischgemeinschaft. Die Laternen an der Decke schwankten, als eine heftige Böe gegen das Schiff fuhr und unheimlich in der Takelage heulte.
    »Sie reden wie ein Franzose«, sagte Archer. »Sie empfehlen ein deftiges Hängegericht, um die Übel der Navy zu heilen.«
    Archers Worte sorgten für Heiterkeit am Tisch, doch Landry schien das gar nicht zu gefallen.
    »Paine hat eine deutliche Antwort auf Burkes Reflections verfasst«, sagte Madison in das nachfolgende Schweigen hinein.
    »Und wurde deswegen der Aufwiegelung angeklagt!«, rief Landry. »Diesen Schund haben Sie doch wohl hoffentlich nicht gelesen?«
    Madison widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Essen. »So stand es jedenfalls in den Gazetten.«
    Wieder herrschte ein unangenehmes Schweigen in der Kabine. Hayden lauschte auf den Wind und hoffte, dass die heftigen Böen endlich nachlassen würden. Leider heulte der Wind nur noch kräftiger an Deck.
    »Und was ist mit Ihnen, Doktor?«, fragte Wickham. »Was haben Sie zuletzt gelesen?«
    »Medizinische Texte, Mr Wickham. Ich habe es aufgegeben, nach einem Buch zu suchen, das mir Vergnügen bereitet, wie es früher einmal war. Ich weiß nicht, warum manche Autoren nur das wiederholen, was andere schon vor ihnen geschrieben haben. Sollen wir denn immer neue Bücher schreiben, so wie Apotheker neue Mixturen anrühren, indem wir immer nur aus ein und demselben Gefäß in ein anderes gießen? Sollen wir immer dasselbe

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