Unter Freunden
Haltestelle, ließ Fahrgäste aus- und einsteigen, Menschen, die Rumänisch, Arabisch, Jiddisch und Ungarisch sprachen und denen man ihre Armut ansah. Einige waren schwer beladen, sie stiegen mit lebenden Hühnern in den Bus, mit großen, in zerschlissene Decken gewickelten Bündeln oder alten, mit Schnüren umwickelten Koffern. Manchmal kam es zu lautstarkem Gedränge. Dann brüllte der Busfahrer die Fahrgäste an, und diese fluchten zurück. Einmal hielt der Fahrer kurz am Straßenrand an, stieg aus und pinkelte ins Feld. Als er nach dieser Unterbrechung wieder den Motor startete, stob eine Dieselgestankwolke durch den Bus. Die Luft war heiß und feucht, alle im Bus waren schweißüberströmt. Die Fahrt dauerte lange, länger als die Fahrt vom Kibbuz Jikhat nach Tel Aviv, weil der Bus kreuz und quer durch alle Vororte und Wohnsiedlungen und Durchgangslagerkurvte. Zwischen einer Wohnsiedlung und der nächsten säumten Orangenplantagen und mit Dornengestrüpp bedeckte Felder die Straße. Staubige Zypressen oder Eukalyptusbäume, deren Stämme sich schälten, standen am Straßenrand. Das Tageslicht ließ bereits nach, als sich Mosche von seinem Platz auf der letzten Bank erhob und an der Halteschnur zog. Er schlängelte sich durch die anderen Fahrgäste zur Tür und stieg an der Abzweigung aus, von der aus ein Sandweg zum Krankenhaus führte.
Beim Aussteigen sah Mosche einen kleinen Hund, einen braun-grauen Mischling mit weißen Flecken auf dem Kopf. Der Hund rannte aus dem Gebüsch zur Straße und wollte sie gerade überqueren, als sich der Bus wieder in Bewegung setzte. Das Vorderrad verfehlte ihn, aber das Hinterrad erfasste und zerquetschte das Geschöpf so schnell, das es nicht einmal mehr aufheulen konnte. Nur ein leichter Aufprall und ein reibendes Geräusch waren zu hören. Der Autobus setzte seine Fahrt fort. Auf dem rissigen Asphalt lag der kleine Hund, der ganze Körper zuckte krampfhaft, der Kopf hob sich wieder und wieder und schlug jedes Mal auf den harten Asphalt zurück, die Beine traten in die Luft, und Blut schoss aus seinem aufgerissenen Maul, das kleine,weiße Zähne entblößte. Ein anderer Blutstrahl sprühte aus seinem Hinterteil. Mosche kniete sich sofort neben ihn auf die Straße, hielt den Kopf des Hundes, bis er aufhörte zu zucken und seine Augen glasig wurden. Mosche erhob sich, nahm den kleinen toten Hund, der noch warm war, auf den Arm und legte ihn, damit kein weiteres Auto ihn überfahren könnte, unter einen weiß gekalkten Eukalyptusbaum neben der Abzweigung des Sandweges. Seine Hände reinigte er mit Sand, die Blutflecken auf seiner Hose und seinem weißen Schabbathemd aber konnte er nicht entfernen. Er wusste, dass sein Vater es nicht bemerken würde. Es gab nur noch sehr wenige Dinge, die sein Vater bemerkte. Mosche blieb einen Moment stehen, zog sein Taschentuch heraus und trocknete seine Brillengläser, er zögerte kurz, aber weil es schon spät war, wandte er sich um und beschleunigte seine Schritte, sodass er den Sandweg beinahe entlangrannte.
Das Krankenhaus lag etwa zwanzig Minuten Fußweg von der Straße entfernt und war von einer hohen Mauer aus unverputzten Blocksteinen umgeben, über die Stacheldrahtrollen gezogen waren. Als er dort ankam, war das Blut auf seiner Kleidung getrocknet und zu rostfarbenen Flecken geworden.
Am Tor stand ein dicker, verschwitzter Wachmann mit einer Kippa auf dem Kopf und versperrte mit seinem schweren Körper den Eingang. Er sagte zu Mosche: »Die Besuchszeit ist längst vorbei. Geh und komm morgen wieder.« Mosche, der noch immer Tränen wegen des toten Hundes in den Augen hatte, versuchte zu erklären, dass er extra aus dem Kibbuz Jikhat gekommen sei, um seinen Vater zu besuchen, und dass er morgen früh um sieben zu Unterrichtsbeginn schon wieder zurück sein müsse. Der dicke Wachmann war in scherzhafter Stimmung, er deutete auf Mosches schwarzes Barett und fragte: »Schändet man im Kibbuz nicht den Schabbat und isst unreine Tiere und Aas?« Mosche versuchte etwas zu sagen, aber die Tränen erstickten seine Worte. Der Wachmann wurde milder und sagte: »Wein nicht, Junge, geh hinein, es macht nichts, geh ruhig hinein, aber beim nächsten Mal kommst du zwischen vier und fünf und nicht erst am Abend. Und bleib nicht länger als eine halbe Stunde.« Mosche bedankte sich, und aus irgendeinem Grund wollte er dem Wachmann die Hand geben. Dieser ergriff die ausgestreckte Hand nicht, tippte aber zweimal auf Mosches schwarzes Barett und sagte:
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