Unter Freunden
seiner Gummiente, die quietschte, wenn man sie drückte. Er konnte sich lange damit beschäftigen, die Ente wieder und wieder zu drücken, die dann jedes Mal ein trauriges Quietschen von sich gab. Diese Ente begleitete ihn, seit er ein Jahr alt war. Die anderen Kinder nannten ihn Juval-Rotznase und zogen ihn hinter dem Rücken der Erzieherin an den Haaren. Immer wieder weinte er leise und lange, und Rotz lief ihm aus der Nase über denMund und das Kinn. Auch die Erzieherinnen mochten ihn nicht besonders, weil er sich nicht gegen seine Angreifer wehrte, weil er nicht gesellig war und so viel weinte. Am Frühstückstisch pickte er nur am Essen und ließ fast den ganzen Brei stehen. Wenn man mit ihm schimpfte, fing er an zu weinen. Wenn man ihm gut zuredete, zog er sich zusammen und schwieg. Er war schon fünf und machte noch jede Nacht ins Bett, und die Erzieherinnen waren gezwungen, eine Gummimatte unter sein Laken zu legen. Jeden Morgen stand er mit durchnässter Schlafanzughose auf, und die anderen Kinder verspotteten ihn. Er saß barfuß in seiner nassen Schlafanzughose auf dem nassen Bett, den Daumen im Mund, und weinte leise, statt sich anzuziehen, und der Rotz mischte sich mit seinen Tränen und verschmierte seine Wangen, bis die Erzieherin kam und ihn schimpfte: »Also wirklich, zieh dich endlich an, Juval, putz dir die Nase, hör auf zu heulen, du bist doch kein Baby mehr.«
Der Kleinkinderausschuss wies seine Mutter an, strenger mit ihm zu sein, um ihm die Verzärtelung abzugewöhnen. Deshalb achtete Lea nachmittags, wenn er sich in der Wohnung seiner Eltern aufhielt, eisern darauf, dass er aufrecht am Tisch saß und alles aufaß, was auf den Teller kam, und sie verbot ihm, am Daumen zulutschen. Wenn er weinte, bestrafte sie ihn wegen seiner Weinerlichkeit. Sie war gegen Umarmungen und Küsse und glaubte daran, dass die Kinder unserer neuen Gesellschaft stark und abgehärtet zu sein hätten. Sie war überzeugt, Juvals Probleme resultierten daraus, dass die Kindergärtnerinnen und Erzieherinnen ihm bei Dingen nachgaben, bei denen man nicht nachgeben durfte, und ihm seine Absonderlichkeiten durchgehen ließen. Roni hingegen umarmte und küsste Juval, aber nur dann, wenn Lea es nicht sah. Wenn sie nicht da war, zog er aus seiner Tasche eine Tafel Schokolade und brach zwei, drei Stückchen für Juval ab. Diese Schokoladenstückchen bewahrten Juval und sein Vater vor Lea und der ganzen Welt als ihr Geheimnis. Oft nahm sich Roni vor, Lea zu widersprechen, doch unterließ es dann. Er fürchtete sich zu sehr vor ihren Zornesausbrüchen, die Juval dazu brachten, mit seiner Ente unter das Bett zu kriechen und lautlos zu weinen, bis der Zorn seiner Mutter wieder verflogen war, und selbst dann kam er nur langsam aus seinem Versteck hervor.
Im Kibbuz galt Roni Schindlin als Klatschmaul und Spötter, aber zu Hause hielt er sich zurück, weil Lea seine, wie sie es nannte, geschmacklosen und spitzfindigen Witzeleien nicht ausstehen konnte. Sowohl Lea als auchRoni rauchten viele Zigaretten der Marke Silon, die der Kibbuz an seine Mitglieder verteilte, und ihre kleine Wohnung war ständig voller Zigarettenqualm. Auch nachts verschwand der Rauchgeruch nicht, er hatte sich in den Möbeln, den Wänden und der Zimmerdecke festgesetzt. Lea mochte keine überflüssigen Berührungen und kein überflüssiges Gerede und glaubte an feste Prinzipien. Alle Statuten des Kibbuz befolgte sie mit frommem Eifer. Sie war überzeugt davon, dass das eheliche Zusammenleben im Kibbuz einfach und nüchtern sein sollte.
In ihrer Wohnung gab es ein Bücherregal aus Sperrholz und ein Sofa mit einer Schaumgummimatratze. Dieses Sofa diente nachts aufgeklappt als Ehebett und wurde morgens in aller Frühe wieder zusammengeklappt. Außerdem gab es noch einen Kaffeetisch mit zwei Korbsesseln, ein Sitzpolster und eine raue Matte. An der Wand hing das Bild eines Sonnenblumenfeldes in sengendem Sonnenlicht, und in einer Zimmerecke stand eine Granatenhülse, die für einen Strauß getrockneter dorniger Zweige als Vase diente. Und alles war erfüllt von Zigarettenrauch.
Roni liebte es, am frühen Abend, wenn die Arbeitsliste für den kommenden Tag ausgefüllt und am Schwarzen Brett aufgehängt worden war, im Speisesaal an seinem angestammten Tisch in der Ecke zu sitzen und zu rauchen, inmitten seiner Freunde und Getreuen, und über all das, was sich im Leben der Kibbuzmitglieder ereignet hatte, zu reden. Nichts entging ihm. Das Leben der anderen verfolgte er
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