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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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»Aber dass du ja nicht den Schabbat schändest.«
    Mosche lief durch den kleinen, verwahrlosten Garten, in dem zwei Bänke standen, von denen die Farbe abblätterte, und trat durch die vergitterte Tür, die sich vor ihm öffnete, nachdem er auf eine heisere Klingel gedrückt hatte. In der Eingangshalle standen an den bis zur halben Höhe mit khakifarbener Ölfarbe gestrichenen Wänden Metallstühle, auf denen etwa zehn Männer und Frauen saßen. Alle trugen gestreifte Morgenmäntel und flache Hausschuhe. Einige unterhielten sich leise miteinander. Der Aufseher, ein kräftiger, breitschultriger Mann in grellbunt geblümtem Hemd, Militärhose und Militärstiefeln, stand in einer Ecke und kaute Kaugummi. Eine nicht mehr junge Frau saß da und strickte eifrig, ohne Nadeln oder Wolle in den Händen zu haben. Ihre Lippen bewegten sich lautlos. Ein sehr dünner, großer, vornübergeneigter Mann stand mit dem Rücken zum Raum, hielt sich an den Gitterstäben vor dem Fenster fest und sprach zu der immer dunkler werdenden Welt draußen. Eine alte Frau saß ganz allein direkt neben dem Eingang, nuckelte an ihrem Daumen und flehte leise vor sich hin.
    Der Vater war draußen auf der Veranda, die vom Boden bis zur Decke mit einem Eisengitter gesichert war. Er saß auf einem grauen Metallstuhl neben einem kleinen grauen Metalltisch, vor ihm stand kalt gewordener Tee in einer Blechtasse.
    Mosche setzte sich auf einen Metallstuhl neben ihm und sagte: »Guten Tag, Vater.« Er saß etwas vornübergeneigt, damit sein Vater die Blutflecken auf seinem Hemd nicht bemerkte.
    Der Vater beantwortete den Gruß, ohne seinen Sohn anzuschauen.
    »Ich bin gekommen, um dich zu sehen.«
    Der Vater nickte und schwieg.
    »Ich bin mit dem Bus gekommen.«
    Der Vater fragte: »Wohin ist er gegangen?«
    »Wer?«
    »Mosche.«
    »Ich bin Mosche.«
    »Du bist Mosche.«
    »Ich bin Mosche. Ich bin gekommen, um dich zu besuchen.«
    »Du bist Mosche.«
    »Wie geht es dir, Vater?«
    Der Vater fragte wieder, besorgt und tieftraurig, mit vor Kummer zitternder Stimme: »Wohin ist er gegangen? Wohin?«
    Mosche umfasste die faltige, von dicken Aderndurchzogene Hand des Vaters, eine Hand, die rau und schwielig geworden war bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Straßenbau, und sagte: »Ich bin vom Kibbuz hergekommen, Vater. Ich bin vom Kibbuz Jikhat gekommen. Um dich zu besuchen. Bei mir ist alles in Ordnung. Alles ist sehr gut.«
    »Du bist Mosche.«
    Mosche begann seinem Vater von der Schule zu erzählen. Von David Dagan, dem Lehrer. Von der Bibliothek. Von der Arbeit im Hühnerstall. Von den Mädchen, die schöne Lieder voller Sehnsucht sangen. Dann zog er das grün eingebundene Buch Die Pest aus seiner Umhängetasche und las seinem Vater die beiden ersten Absätze vor. Der Vater hörte aufmerksam zu, mit halb geschlossenen Augen, den Kopf, der mit einer kleinen Kippa bedeckt war, etwas vornübergeneigt, und plötzlich ergriff er die Blechtasse, betrachtete den kalt gewordenen Tee, nickte bekümmert, stellte die Tasse wieder auf den Tisch und fragte: »Wohin ist er gegangen?«
    Mosche sagte: »Ich gehe in die Küche und hole dir frischen Tee. Warmen.«
    Der Vater strich sich mit der Hand über die Stirn, als wäre er gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht, und sagte traurig: »Du bist Mosche.«
    Mosche hielt die Hand seines Vaters, er umarmte ihn nicht, sondern drückte nur wieder und wieder die braune, schlaffe Hand. Er sprach weiter, er erzählte seinem Vater vom Basketballplatz, von den Büchern, die er gelesen hatte, vom Kunstkreis und vom Diskussionskreis zu aktuellen Problemen, von seinen Gesprächsbeiträgen, von Kafkas Josef K., von David Dagan, der schon einige Frauen und etliche Geliebte gehabt habe und jetzt mit einem siebzehnjährigen Mädchen zusammenlebe, doch seine Aufmerksamkeit gelte immer allen seinen Schülern, David Dagan sei es auch gewesen, der ihn vor dem anfänglichen Spott in Schutz genommen habe. Dieser Lehrer David Dagan habe die Angewohnheit, sich an seine Zuhörer zu wenden und zu sagen: Gebt mir nur einen Moment, und lasst uns gemeinsam Ordnung in die Sache bringen. Etwa zehn Minuten lang sprach Mosche auf seinen Vater ein. Der Vater schloss die Augen, dann machte er sie wieder auf und sagte bekümmert: »Gut. Jetzt geh. Du bist Mosche?«
    Mosche sagte: »Ja, Vater.«
    Und danach fügte er hinzu: »Mach dir keine Sorgen, Vater. In zwei Wochen besuche ich dich wieder. Sie erlauben mir zu fahren. David Dagan erlaubt es mir.«
    Der

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