Unter Freunden
Vater nickte und senkte das Kinn auf die Brust, als würde er trauern.
Mosche sagte: »Schalom, Vater.«
Und dann sagte er: »Auf Wiedersehen. Mach dir keine Sorgen.«
An der Tür drehte er sich noch ein letztes Mal zu seinem Vater um, dieser saß regungslos da und starrte die Blechtasse an. Beim Hinausgehen fragte Mosche den Aufseher in der Militärhose: »Wie geht es ihm?«
Der Aufseher sagte: »Er ist in Ordnung. Ruhig. Ich wünschte, alle wären wie er.«
Und dann sagte er noch: »Du bist ein guter Sohn. Gesund sollst du sein.«
Draußen war es schon fast dunkel. Plötzlich erfüllte Mosche Ekel vor sich selbst, wie so oft. Er nahm das schwarze Barett vom Kopf und stopfte es in die Umhängetasche. Die Ärmel seines Hemdes krempelte er wieder bis zu den Ellenbogen hoch und öffnete den Kragenknopf. In dem kleinen Garten vor dem Krankenhaus wuchsen nur Dornengestrüpp und Unkraut. Auf einer Bank lag ein Geschirrtuch, und im Dornengestrüpp hing der Gürtel eines Morgenmantels. Mosche fielen diese Dinge auf, weil es immer die Einzelheiten waren, die seine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Erdachte an Zeschka Honig aus dem Hühnerstall, die ihm beigebracht hatte, auf kranke Hühner zu achten, sie herauszunehmen und zu isolieren, bevor sie den ganzen Hühnerstall anstecken konnten. Und er dachte an die Jungen aus seiner Klasse, die jetzt auf dem Rasen lagen, jeder den Kopf auf dem Schoß eines Mädchens, und alle gemeinsam sangen sie herzzerreißende Lieder. Er dachte auch daran, dass irgendeiner der Jungen, Tamir oder Dror oder Gideon oder Arnon, jetzt seinen hellen Kopf auf Carmela Nevos Schoß gelegt hatte und die Wärme ihrer Brust dessen Wange umhüllte. Er hätte alles darum gegeben, in diesem Moment dort zu sein. Um jetzt und ein für alle Mal einer von ihnen zu sein. Und dennoch wusste er, dass es niemals so sein würde. Er ging an dem zu Scherzen aufgelegten Wachmann vorbei, der neben dem Tor stand und verwundert zu ihm sagte: »Was ist das, du bist mit einer Kopfbedeckung hineingegangen und kommst ohne wieder heraus?«
Mosche sagte nur gute Nacht und lief den Sandweg entlang, der vom Krankenhaus zur Straße führte. Als er sie erreichte, war es dunkel. Kein Auto fuhr vorbei. In der Ferne funkelten kleine Lichter. Von dort drangen Hundegebell und das Blöken eines Esels herüber, auchder gedämpfte Klang von Kinderstimmen. Er setzte sich im Schneidersitz auf den sandigen Boden unter dem weiß gekalkten Eukalyptusbaum, ganz nahe der Stelle, wo er den überfahrenen Hund hingelegt hatte, und wartete. Er wartete lange. Ihm schien, als hörte er aus der Richtung des Krankenhauses abgerissenes Schluchzen, aber er war sich nicht sicher. Regungslos saß er da und lauschte.
E in kleiner Junge
L ea, seine Frau, war für zehn Tage zu einer Fortbildung für Erzieherinnen im Seminar der Kibbuzbewegung gefahren. Roni Schindlin freute sich, ein paar Tage ohne sie zu sein. Nach der Arbeit in der Schlosserei duschte er, und um vier Uhr nachmittags holte er seinen fünfjährigen Sohn Juval im Kinderhaus ab. Er nahm die kleine Hand in seine und ging zwischen einem Regenschauer und dem nächsten mit dem Jungen im Kibbuz spazieren. Der Kleine trug grüne Gummistiefel und eine Flanellhose, einen Pullover und eine Jacke. Roni setzte Juval die Mütze auf und band deren Bänder mit einer Schleife unter dem Kinn zusammen, weil die Ohren seines Sohnes empfindlich gegen Kälte waren. Dann nahm er den Jungen auf die Schultern und ging mit ihm zu den Kühen und den Schafen. Juval fürchtete sich etwas vor den Kühen, die im nassen Dung standen und von Zeit zu Zeit ein tiefes, dumpfes Muhen hören ließen.
Sein Vater sprach ihm vor: »Jonathan versorgt die Kuh, er gibt ihr Heu und schaut ihr zu, die Kuh macht immerzu nur muh, und für das Kalb ist Heu ganz neu.«
Juval fragte: »Warum brüllt die Kuh?«
Roni erklärte: »Eine Kuh brüllt nicht, sie macht muh, der Löwe brüllt.«
»Warum brüllt der Löwe?«
»Er ruft seine Freunde.«
»Seine Freunde ärgern ihn.«
»Seine Freunde spielen mit ihm.«
»Sie ärgern ihn.«
Juval war klein für sein Alter, langsam und ängstlich. Er war oft krank, er hatte fast jede Woche einmal Durchfall und jeden Winter Mittelohrentzündung. Die anderen Kinder drangsalierten ihn oft. Die meiste Zeit des Tages saß er allein auf einer Matte in einer Ecke des Kindergartens, den Daumen im Mund, mit dem Rücken zum Zimmer und dem Gesicht zur Wand, er spielte allein mit den Holzbausteinen oder mit
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