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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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auf, legte sie draußen in die Tonne zum Verbrennen und bedankte sich bei Zeschka. Er fügte hinzu: »Dafür bleibe ich morgen Nachmittag eine Viertelstunde länger.«
    Zeschka sagte: »Hauptsache, du zeigst ihnen dort, dass du schon ein richtiger Kibbuznik bist.«
    In der Dusche wusch er sich sorgfältig mit Seife und kaltem Wasser den Hühnerstallgeruch vom Körper,trocknete sich ab und zog eine gebügelte lange Hose an, dazu sein weißes Schabbathemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochkrempelte. Vom Duschraum lief er in sein Zimmer, nahm seine Umhängetasche, die er in der Zehnuhrpause gepackt hatte, und rannte los, quer über den Rasen und vorbei an den Blumenbeeten. Zvi Provisor, der Gärtner, kniete in einem der Beete und entfernte Unkraut. Er hob den Kopf und fragte Mosche, wohin er fahre. Mosche wollte eigentlich antworten, dass er vorhabe, seinen Vater im Krankenhaus zu besuchen, doch stattdessen sagte er nur: »In die Stadt.«
    Zvi Provisor fragte: »Warum? Was gibt es dort, was es hier nicht gibt?«
    Mosche schwieg, aber in Gedanken antwortete er: Fremde Menschen.
    Als er am zentralen Busbahnhof aus dem Bus vom Kibbuz Jikhat in den Bus zum Krankenhaus umstieg, wählte Mosche einen Platz auf der letzten Bank. Er zog das verschlissene schwarze Barett aus der Tasche und setzte es so auf, dass es seine Stirn halb verdeckte. Er knöpfte das Hemd bis zum Kragen zu und rollte die hochgekrempelten Ärmel wieder bis zu den Handgelenken herunter. Nun sah er fast wieder so aus wie anjenem Tag, als ihn die Sozialarbeiterin in den Kibbuz Jikhat gebracht hatte. Er trug zwar noch die Sandalen, die man ihm im Kibbuz gegeben hatte, aber er war sich sicher, dass sein Vater das nicht bemerken würde. Es gab nur noch wenige Dinge, die sein Vater bemerkte. Der Autobus fuhr durch die schmalen Straßen um den Busbahnhof, und durch die offenen Fenster drang der Geruch von Bratfett und von Benzin herein. Mosche dachte an die Mädchen in seiner Klasse im Kibbuz, die angefangen hatten, ihn Moschik zu nennen. Trotz der Spötteleien, denen er in den ersten Wochen nach seiner Ankunft ausgesetzt gewesen war, empfand Mosche die Gemeinschaft der Jugendlichen im Kibbuz als wohltuend. Er liebte es, in einer Schule zu lernen, in der man im Sommer barfuß erscheinen und mit den Lehrern über alles frei und ungezwungen diskutieren durfte. Er liebte den Basketballplatz, er liebte auch die abendlichen Treffen des Kunstkreises und des Diskussionskreises zu aktuellen Problemen. Dort wurden Angelegenheiten verhandelt, die der Realität der Erwachsenen angehörten, und diese schien ihm im Allgemeinen aus zwei Lagern zu bestehen, auf der einen Seite die Anhänger des Fortschritts, auf der anderen Seite jene, die der alten Welt verhaftet waren. Mosche wusste, dass er noch immerein wenig der alten Welt angehörte, denn er konnte die fortschrittlichen Ideen nicht immer akzeptieren, doch er diskutierte nicht mit, er hörte nur zu und nahm alle Argumente aufmerksam zur Kenntnis. In seiner freien Zeit las er Dostojewski, Camus und Kafka. In diesen Büchern fand er etwas Rätselhaftes, das ihn im Innersten ansprach. Ungelöstes zog ihn stärker an als Lösungsformeln. Aber er sagte sich, dass dies vielleicht noch immer dem Eingewöhnungsprozess geschuldet sei, in ein paar Monaten würde er bereits gelernt haben, die Welt so zu sehen, wie David Dagan und die anderen Lehrer wollten, dass er sie sah. Wie gut war es doch, einer von ihnen zu sein. Mosche beneidete die Jungen, die ihre Köpfe so unbeschwert auf den Schoß der Mädchen legten, wenn sie gegen Abend auf dem großen Rasen herumlungerten und Arbeiter- oder Heimatlieder sangen. Bis zum Alter von zwölf Jahren hatten die Jungen und die Mädchen gemeinsam nackt geduscht. Ein Schauer der Begeisterung und der Angst war ihm über den Rücken gelaufen, als er das erzählt bekommen hatte. Tag für Tag hatten Tamir und Dror und die anderen Jungen Carmela Nevo nackt gesehen, und bestimmt hatten sie ungerührt auf das reagiert, was sie sahen, während er sogar bei dem bloßen Gedanken an ihren Nacken und den flaumigen Haaransatz vor Sehnsucht und Scheu anfing zu zittern. Würde er wirklich eines Tages einmal so sein wie die anderen Jungen? Diesen Tag sehnte er herbei, doch zugleich hatte er Angst, denn tief unter allem, was er wusste, war auch das Wissen, dass dieser Tag niemals kommen würde.
    Der Autobus hatte Tel Aviv hinter sich gelassen, er holperte von einem Vorort zum nächsten, hielt an jeder

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