Unter Freunden
mit unermüdlicher Neugier und großer Spottlust. Je höher die Ideale, davon war er überzeugt, desto lächerlicher würden unsere Schwächen und Widersprüchlichkeiten. Oft zitierte er lächelnd den Ausspruch von Levi Eschkol: »Ein Mensch ist eben nur ein Mensch, und auch das nur selten.« Dann zündete er sich eine Zigarette an und sagte mit einer etwas näselnden Stimme zu seinen Freunden: »Daraus folgt, dass bei uns kein Augenblick vergeht ohne neues Missgeschick. Erst hat Boas Osnat verlassen, zugunsten von Ariela Barasch, und jetzt verlässt Ariela Boas, zugunsten ihres Katers, und morgen taucht bestimmt irgendeine neue Abandonina auf und nimmt das verlassene Hab und Gut an sich. Wie in den Psalmen geschrieben steht: Nie sah ich einen Gerechten verlassen, noch seine Nachkommenschaft betteln um einen Schoß.« Oder er sagte: »Wem auch immer im Kibbuz Jikhat eine Frau fehlt, braucht sich nur in die Schlange vor David Dagans Treppe einzureihen und ein bisschen zu warten.Dort werden Frauen aus der Tür geschnippt wie Zigarettenkippen.«
Von Roni Schindlins Tisch war oft dröhnendes Gelächter zu hören. Alle im Kibbuz sahen sich sehr vor, ja nicht in Ronis und seiner Freunde Mundwerk zu geraten.
Um zehn Uhr abends pflegten sich die Tischgenossen zu trennen, und alle gingen nach Hause. Roni machte noch einen Abstecher zum Kinderhaus, um nachzuschauen, ob Juval schlief, und ihn gut zuzudecken. Dann ging er langsam nach Hause, setzte sich auf die Stufen vor der Haustür und zog die Schuhe aus, um keinen Schmutz ins Haus zu tragen, und ging vorsichtig auf Strümpfen hinein. Lea hörte Radio und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Jeden Abend hörte sie Radio. Roni zündete sich auch eine letzte Zigarette an und setzte sich schweigend ihr gegenüber. Um halb elf drückten sie die Zigaretten aus, löschten das Licht und gingen schlafen, er in seine Decke gewickelt, sie in ihre, denn am nächsten Tag würden sie vor sechs aufstehen und zur Arbeit gehen müssen.
In der Schlosserei galt Roni als fleißiger Arbeiter, und er achtete gewissenhaft darauf, nie eine Sitzung des Wirtschaftsausschusses zu versäumen. Er stand dort immerauf der Seite jener, die für eine vorsichtige und ausgewogene Haushaltsplanung und gegen ökonomisch riskant erscheinende Projekte waren. So stimmte er zwar für eine beschränkte Erweiterung des Hühnerstalls, aber gegen die Inanspruchnahme eines Bankdarlehens. Er hatte eine Briefmarkensammlung, der er sich nach der Arbeit widmete, zusammen mit Juval: Kopf an Kopf beugten sie sich über den Kaffeetisch, im Petroleumofen brannte eine blaue Flamme, Juval warf die abgerissenen Umschlagteile mit den Briefmarken in eine Schüssel mit Wasser, um den Klebstoff aufzuweichen, danach legte er die abgelösten Briefmarken, unter Aufsicht seines Vaters, mit dem Bild nach unten zum Trocknen auf einen Bogen Löschpapier. Roni sortierte die Briefmarken gemäß dem englischen Katalog ein, während er Juval von Japan erzählte, dem Land der aufgehenden Sonne, vom eisigen Island, von Aden, von Hadramaut, dem Hof des Todes, von Bab al-Mandab, dem Tor der Tränen, von Panama und dem großen Kanal, der dort gegraben worden war.
Lea brachte den beiden frischgepressten Orangensaft, ermahnte Juval, er solle das Glas leertrinken, und setzte sich in eine Ecke, um zu rauchen und in der Monatszeitschrift Echo der Pädagogik zu blättern. Von Zeit zu Zeit drang ein dumpfes Röcheln aus dem Petroleumofen, und die Flamme hinter dem Gitter leuchtete einen Moment lang auf. Draußen schlugen der Regen und der Wind gegen die geschlossenen Fensterläden, und auch ein Zweig des Ficusbaums drängte sich wieder und wieder dagegen, als bäte er um Gnade. Roni stand auf, leerte den Aschenbecher und spülte ihn unter dem Wasserhahn, Juval lutschte am Daumen und schmiegte sich an seinen Vater, und Lea schimpfte: »Hör auf mit dem Daumenlutschen. Und du, hör schon auf, ihn zu verwöhnen. Er ist sowieso viel zu verwöhnt.« Dann fügte sie noch hinzu: »Er sollte stattdessen lieber eine Orange essen und endlich die jämmerliche Ente weglegen. Jungen spielen nicht mit Puppen.«
Nun, da sie für zehn Tage zu der Fortbildung für Erzieherinnen gefahren war, holte Roni jeden Nachmittag um vier Juval und seine Quietschente vom Kinderhaus ab, setzte sich den Jungen auf die Schultern, und so spazierten sie zu den Ställen. Der scharfe, säuerliche Geruch der Orangenschalen aus dem Gärfuttersilo mischte sich mit den schweren Gerüchen
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