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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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bei den Kindern, verbot ihnen, miteinander zu flüstern, befahl ihnen, einzuschlafen, und sagte ihnen gute Nacht, schaltete das Licht in der Dusche an, machte den Heizlüfter aus und ging.
    Die Kinder warteten, bis sie sich entfernt hatte, dann schlüpften sie barfuß aus den Betten und begannen, in den Zimmern und der Essecke herumzutoben und sich gegenseitig mit den schmutzigen Gummistiefeln zu bewerfen, die aufgereiht neben der Eingangstür standen. Sie wurden immer übermütiger, die Jungen hängten sich Decken über den Kopf, umringten die Mädchen und schrien: »Wir sind Araber, wir greifen jetzt an!« Die Mädchen kreischten erschrocken und drängten sich zusammen, und eine von ihnen, Atida, füllte eine Flasche mit Wasser und bespritzte damit die Araber. Es kam zu einer Rauferei, die erst ein Ende nahm, als Eviatar, ein breitschultriger Junge, rief: »Los, jetzt beschlagnahmen wir die Ente von Juval-Rotznase.«
    Juval hatte nicht wie die anderen Kinder das Bett verlassen, sondern war liegen geblieben, mit dem Gesicht zur Wand, und dachte an das Briefmarkenland Hadramaut, den Hof des Todes, von dem sein Vater ihm erzählt hatte. Dieser Name machte ihm Angst, und er hatte das Gefühl, dass der Hof des Kinderhauses, der sich genau hinter der Wand mit dem Fenster erstreckte, ebenfalls ein Hof des Todes sei. Er rollte sich fester in die Decke, schob auch seinen Kopf darunter und umarmte seine Gummiente. Er wusste, dass es gefährlich war, einzuschlafen, andererseits durfte er aber auch nicht weinen. Er wartete, dass die Kinder müde werden und wieder ins Bett zurückkehren würden, und hoffte, sie würden sich heute Abend nicht an ihn erinnern. Seine Mutter war weggefahren, und sein Vater saß jetzt mit seinen Freunden am Tisch in der Ecke des Speisesaals und rauchte, und Chemda, die Erzieherin, war weggegangen, und hinter der dünnen Wand lag der Hof des Todes, und die Tür war nicht abgeschlossen, undim Wäldchen auf dem Weg nach Hause trieb sich ein schwarzer Wolf herum.
    Tadmor, Tamir und Rinat rissen ihm die Decke weg, warfen sie auf den Boden, und Dalit sang ein Spottlied: »Juval-Rotznase, Rotznase-Juval hat Pech, Pech, Pech – Pech überall!«
    Eviatar rief: »Gleich fängt er an zu weinen!«
    Er wandte sich an Juval und sagte zuckersüß: »Na, wein schon, Juval. Nur ein bisschen. Alle Kinder bitten dich sehr darum.«
    Juval krümmte sich zusammen, zog die Knie an den Bauch und den Kopf zwischen die Schultern, er umklammerte mit beiden Händen seine Ente, die leise aufquietschte.
    »Seine Ente ist ein Dreckding.«
    »Los, wir waschen die Ente.«
    »Wir waschen ihr Schwänzchen, ihr Schwänzchen ist auch ein Dreckding.«
    »Gib die Ente her, Juval-Rotznase. Los, gib sie her. Gib sie im Guten.«
    Eviatar versuchte Juval die Ente aus der Hand zu reißen, aber Juval umklammerte sie mit ganzer Kraft und presste sie an seinen Bauch. Tadmor und Tamir rüttelten von beiden Seiten an seinen Armen, er trat mitden nackten Füßen nach ihnen, Rinat fing an, an seiner Schlafanzughose zu zerren, Tadmor und Tamir bogen ihm die Finger nach außen, und Eviatar griff mit beiden Händen zu und entriss ihm die Ente, schwenkte sie hin und her, tanzte auf einem Fuß herum und rief: »Die Ente, das Dreckding, in den Müll damit!«
    Juval biss die Zähne zusammen, um nicht loszuheulen, aber seine Augen füllten sich mit Tränen, aus seiner Nase lief Rotz und verschmierte seinen Mund und sein Kinn. Er stand auf und wollte sich auf Eviatar stürzen, der viel größer und stärker war als er. Eviatar tat, als würde er sich erschrecken, er fuchtelte mit der Ente hoch über seinem Kopf herum und warf sie zu Tamir, dieser warf sie zu Rinat, und Rinat warf sie zu Tadmor. Juval wurde plötzlich von einer verzweifelten Wut gepackt, der Wut der Schwachen, er nahm Anlauf und stürzte sich mit aller Macht auf Eviatar und versetzte ihm einen so heftigen Stoß in den Bauch, dass er ihn fast umgeworfen hätte. Dalit und Rinat kreischten vor Vergnügen. Eviatar fasste sich wieder, stieß Juval nieder und schlug ihm mit der Faust auf die Nase. Als Juval auf dem Boden lag und nur noch kleine, erstickte Schluchzer ausstieß, sagte Dalit: »Kommt, wir holen ihm ein bisschen Wasser.« Und Tadmor sagte: »Schluss jetzt. Es reicht. Lasst ihn inRuhe.« Aber Eviatar lief zur Essecke, holte eine Schere aus der Schublade und schnitt der Gummiente den Kopf ab, dann kam er ins Zimmer zurück, den Entenkörper in der rechten Hand, den Entenkopf in der

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