Unter Freunden
von Viehfutter und Mist aus dem Kuhstall. Vom Westen her wehte ein feuchtkalter Wind, und die frühe Abenddämmerung senkte sich auf die Ställe und die Schuppen und die kleinen Häuser mit den roten Ziegeldächern. Ab und zu stieß ineinem der Wipfel ein Vogel einen lauten, schrillen Ruf aus. Die Schafe in den Pferchen antworteten mit einem klagenden Blöken. Manchmal gerieten sie in einen leichten Regenschauer, dann liefen Vater und Sohn schnell nach Hause.
Nach dem Spaziergang nahm Roni den Jungen mit in die Wohnung und überredete ihn, ein Marmeladebrot zu essen und eine Tasse Kakao zu trinken. Juval aß lustlos ein paar Bissen von seinem Brot, probierte einen Schluck Kakao und sagte: »Genug, Papa. Jetzt die Briefmarken.«
Roni räumte den Tisch ab, stellte das Geschirr in die Spüle, nahm das grüne Album aus dem Regal, und beide beugten sich darüber, Kopf an Kopf. Roni zündete sich eine Zigarette an und erklärte Juval, die Briefmarken seien kleine Gäste aus fernen Ländern, und jeder Gast erzähle uns eine Geschichte von dem Land, aus dem er gekommen sei, Geschichten von Landschaften und von berühmten Menschen, Geschichten von Festen und von schönen Gebäuden. Juval fragte, ob es Länder gebe, in denen man den Kindern erlaube, nachts bei ihren Eltern zu schlafen, und Länder, in denen die Kinder andere Kinder nicht ärgern und nicht schlagen. Roni wusste nicht, was er ihm darauf antworten sollte, er sagte nur,es gebe überall gute und grausame Menschen, und dann erklärte er Juval die Bedeutung des Wortes Grausamkeit. Tief im Herzen glaubte Roni, dass sich bei uns die Grausamkeit manchmal scheinheilig als Prinzipientreue tarnte, und er wusste, dass niemand ganz frei davon war. Auch er selbst nicht.
Juval hatte Angst davor, dass es halb acht wurde, dann musste er mit seinem Vater zum Kinderhaus gehen und sich für die ganze Nacht von ihm verabschieden. Er bettelte nicht darum, zu Hause bleiben zu dürfen, aber als er zur Toilette ging, um Pipi zu machen, und lange nicht zurückkam, fühlte Roni sich gezwungen, ihm nachzugehen. Der Junge saß auf dem geschlossenen Toilettendeckel, lutschte am Daumen und drückte seine Gummiente mit dem verblassten roten Schnabel und den in den Kopf gesunkenen Augen fest an sich.
Roni sagte: »Juvali, wir müssen los, es ist schon spät.«
Juval erwiderte: »Es geht nicht, Papa. Auf keinen Fall. Im Wäldchen neben dem Weg ist ein großer Wolf.«
Schließlich schlüpften beide in ihre Jacken. Roni zog Juval die grünen Gummistiefel an und band die Mütze des Jungen unter dem Kinn fest. Er holte einen dicken Stock, mit dem er den Wolf verscheuchen würde. Dann machten sie sich auf den Weg zum Kinderhaus. Juvalsaß auf Ronis Schultern und umklammerte mit einer Hand den Kopf seines Vaters, mit der anderen drückte er seine Ente und ließ sie immer wieder aufquietschen. Als sie an den Bäumen hinter dem Speisesaal vorbeigingen, fuchtelte Roni mit dem Stock durch die feuchte Luft und schlug den Wolf in die Flucht. Juval zögerte einen Moment, dann verkündete er traurig, dass der Wolf zurückkommen würde, später in der Nacht, wenn alle Eltern schliefen. Roni versprach, dass der Wachmann den Wolf vertreiben würde, aber der Junge beruhigte sich nicht, er wusste, dass der Wolf den Wachmann fressen würde.
Als sie im Kinderhaus ankamen, war der Heizlüfter in der Essecke an, und die kleinen Tische waren schon fürs Abendessen gedeckt. Auf jedem Teller lag eine Scheibe Brot mit Schnittkäse, ein halbes hartes Ei, ein paar Scheiben Tomaten, vier Oliven und ein kleines Häufchen Quark. Chemda, die Erzieherin, eine untersetzte, stämmige Frau mit einer weißen Schürze, befahl den Kindern, ihre Stiefel ordentlich neben der Tür in eine Reihe zu stellen und ihre Jacken an die Haken über den Stiefeln zu hängen. Dann gingen die Eltern hinaus, um zu rauchen, und die Kinder aßen zu Abend. Anschließend räumten sie die Teller und Tassen in dieSpüle, und diejenigen, die Dienst hatten, wischten die Tische ab.
Nach dem Essen durften die Eltern die Kinder ins Bett bringen. Die Kinder in ihren Flanellschlafanzügen drängelten sich mit großem Gekreische vor den Waschbecken, wuschen sich und putzten ihre Zähne und kletterten lärmend unter die Decken. Zehn Minuten lang durften die Eltern eine Geschichte vorlesen oder ein Schlaflied singen, dann verabschiedeten sie sich. Chemda machte das Licht aus, nur eine kleine Lampe in der Essecke ließ sie an. Sie blieb noch ein paar Minuten
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