Unter goldenen Schwingen
begann Nathaniel, doch sie fiel ihm ins Wort.
»Was kümmern uns die Inferni? Ich spreche von ihnen , Nathaniel.«
»Ich habe es auch schon versucht.« Ramiel zuckte mit den Schultern. »Viel Glück.«
»Es ist meine Aufgabe, Victoria zu beschützen.« Nathaniels Stimme klang hart.
» Was denkst du, was wir hier tun? «
Ich erschrak über Seraphelas schneidenden Ton. Sie fixierte Nathaniel mit einem so durchdringenden Blick, dass ich nicht begreifen konnte, warum er nicht vor ihr zurückwich.
»Du hilfst ihr also, indem du dich umbringen lässt?«, fuhr sie ihn eisig an, ihr Tonfall voller Zynismus. »Dann mach es doch gleich richtig!«
Ich verstand nicht, worum es hier ging – aber an Nathaniels Reaktion konnte ich sehen, dass Seraphela zu weit gegangen war. Seine Miene versteinerte, seine Augen blitzten vor Zorn und er trat drohend einen Schritt auf sie zu.
Ich konnte die Spannung zwischen ihnen nicht ertragen. »Aufhören!«, keuchte ich. »Und was soll das überhaupt heißen, ›indem du dich umbringen lässt‹ ?« Mein Herz schlug schneller und ich drehte mich zwischen Seraphela und Nathaniel hin und her.
»Sera?« Ramiels auffordernde Stimme erklang neben uns. Er deutete auf mich.
Seraphela unterbrach das eisige Blickduell mit Nathaniel widerwillig und rang sich dazu durch, mich anzusehen. Ihr Ausdruck war nicht freundlich, doch ich spürte, wie ich mich unter ihrem Einfluss beruhigte.
»Sie übertreibt«, sagte Nathaniel. Als er sich mir zuwandte, fiel all der Zorn von ihm ab. »Mach dir keine Sorgen.«
»Ich übertreibe, glaubst du das wirklich?«, zischte Seraphela. »Was wirst du ihnen sagen, wenn du vor dem Tribunal stehst?«
Nathaniel schwieg. Seine Kiefermuskeln verspannten sich.
»Tribunal?«, fragte ich beunruhigt. »Was für ein Tribunal? Wovon spricht sie?«
»Es ist unwahrscheinlich, dass überhaupt ein Tribunal stattfinden wird«, sagte Nathaniel. »Du musst dich damit wirklich nicht belasten.«
»Ich bin anderer Meinung.« Ramiels rauchige Stimme klang entschlossen. »Denn ich fürchte, es könnte durchaus stattfinden.«
Die letzten Worte richtete er an Nathaniel.
»Was ist ein Tribunal?«, fragte ich.
»Wenn ein Engel etwas Verbotenes getan hat, dann wird über sein Schicksal beraten«, erklärte Ramiel. »Das nennen wir ein Tribunal.«
»Eine Art … Gerichtsverhandlung?«
Ramiel nickte.
»Und Nathaniel sollte sich rasch eine gute Verteidigung einfallen lassen«, sagte Seraphela eisig.
»Du wirst angeklagt?«, flüsterte ich fassungslos, an Nathaniel gewandt. »Weswegen?« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Nathaniel zu irgendeiner verwerflichen Tat überhaupt fähig war. Er sah mich an und der Schmerz in seinen Augen machte mich für einen Moment sprachlos.
»Es tut mir so leid, dass ich dir das antue«, flüsterte er.
»Warum wirst du angeklagt?«, wiederholte ich kaum hörbar.
Er schwieg. Ramiel senkte den Kopf. Schließlich war es Seraphela, die mir antwortete.
»Weil er dich gerettet hat.«
» Was? «
»Du hättest bei dem Unfall sterben sollen«, sagte sie.
»Er hat ein Verbotenes Wunder vollbracht«, sagte Ramiel leise.
»Ich verstehe kein Wort.« Ich blickte zwischen den drei Engeln hin und her. Nathaniel hielt den Kopf gesenkt und Seraphelas Gesichtsausdruck war eiskalt. Jetzt war es Ramiel, der mir antwortete.
»Es war eine unautorisierte Rettungsaktion«, erklärte er. »Nathaniels Eingreifen war nicht befohlen.«
»Ich würde es jederzeit wieder tun«, sagte Nathaniel entschieden.
»Oh, gut, das wird das Tribunal überzeugen«, sagte Seraphela giftig.
»Ehrlich, Nathaniel, ich halte das auch nicht gerade für die beste Verteidigungsstrategie«, sagte Ramiel.
»Du wirst meinetwegen angeklagt?«, fragte ich fassungslos.
Nathaniel trat auf mich zu. »Nein«, flüsterte er eindringlich. »Es war meine Entscheidung, du darfst dir nicht die Schuld geben.«
»Noch besser«, zischte Seraphela. »Wenn du ihr wenigstens die Schuld daran geben würdest ! Aber nein, nimm alles auf dich, eine blendende Idee!«
»Sera«, begann Ramiel beschwichtigend, doch der silberne Engel dachte nicht daran, sich zu beruhigen.
»Sie werden dieses Tribunal abhalten.« Seraphelas Stimme war nur noch ein Flüstern. »Du weißt das, und Nathaniel weiß es auch. Und wenn er sich nicht einen verdammt guten Grund für sein Verhalten aus dem Hintern zieht, dann wird er fallen.«
»Was bedeutet das?«, fragte ich Nathaniel leise. »Was meint sie mit ›Dann wird er
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