Unter goldenen Schwingen
Herz schlug schneller.
»Ich ertrage es nicht, wenn du dir Sorgen um mich machst«, flüsterte er schließlich. »Vor allem, wenn sie vollkommen unbegründet sind .«
»Sie sind nicht unbegründet.«
Ich spürte, dass er den Kopf schüttelte. »Victoria …«
»Bitte hör auf«, sagte ich leise. »Zwing mich nicht, dir das zu erklären.«
Er zögerte widerstrebend.
»Womit wir beim Thema wären«, murmelte ich unbehaglich. »Bist du mir böse?«
Er sah mich erstaunt an. »Aus welchem Grund sollte ich dir böse sein?«
Ich schwieg.
Weißt du noch, gestern, als du Lazarus jagen wolltest, und ich dagegen war? Wenn du nicht nachgegeben hättest, hätte ich dir meinen Wunsch aufgezwungen, dachte ich, ohne ihn anzusehen. Es tut mir leid. Verzeihst du mir?
»Du bittest mich um Verzeihung, weil du beinahe auf einem Wunsch bestanden hast, der mich deiner Meinung nach schützen sollte?«, fragte er leise.
»Na ja«, murmelte ich. »Ich schätze, ja …«
Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich habe dir gesagt, dass ich alles für dich tun muss, was du verlangst. Aber stattdessen respektierst du die Grenzen, um die ich dich bitte. Und du willst mich beschützen.« Einige Augenblicke vergingen, in denen er sich nicht rührte – nur seine Hand streichelte sanft über mein Haar. »Ich habe dir nichts zu vergeben«, flüsterte er leise. »Ich habe dir zu danken.«
Nathaniel hatte es sich auf der Couch im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Ich setzte mich mit meinem Frühstück neben ihn und lehnte mich behutsam an seinen Flügel. Plötzlich fühlte es sich vertraut an, ihm so nahe zu sein. Ich schüttelte den Kopf, erstaunt darüber, wie rasch sich dieses Gefühl geändert hatte. Meine Scheu, ihn zu berühren, war natürlicher Vertrautheit gewichen, und ich fühlte mich so wohl an seiner Seite, als wäre er für mich geschaffen worden.
»Das bin ich auch«, schmunzelte er leise.
Ich errötete und senkte meinen Blick auf die dampfende Teetasse, die ich in meinen Händen hielt.
Er betrachtete mich mit einem schelmischen Blitzen in den Augen. »Heute ist der große Tag«, sagte er plötzlich.
Ich nahm einen Schluck Tee. »Was meinst du?«
»Sag nicht, du hast es vergessen.« Er sah mich mit gespielter Enttäuschung an und fuhr fort, als würde er etwas völlig Offensichtliches erklären. »Ich freue mich schon seit gestern darauf. Heute haben wir Chemie.«
Ich verschluckte mich beinahe.
»Mehr Spaß«, erinnerte er mich. »Du hast es versprochen.«
Mir fiel unser Gespräch wieder ein, das wir nach dem ersten gemeinsamen Schultag geführt hatten. Er hatte Recht, ich hatte ihm mehr Spaß versprochen.
»Genau«, erwiderte er auf meine Gedanken und zwinkerte. »Ich habe es nicht vergessen.«
Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. »Keine Sorge. Nach allem, was ich gestern erlebt habe, haben sich meine Prioritäten eindeutig verschoben. Ein gemeinsamer Schultag wird mich nicht so schnell aus der Fassung bringen, selbst wenn du dich mitten in den Schulhof stellst und, was weiß ich, jodelst …«
Er schwieg einen Augenblick und überlegte. »Keine schlechte Idee«, murmelte er dann.
»Das war nicht als Anregung gedacht!«
Eine Stunde später rollte ich mit Nathaniel über meinem Wagen langsam auf den Schulparkplatz. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, dass niemand auf den Engel über meinem Auto reagierte. Als ich aus dem Wagen ausstieg und er elegant neben mir landete, winkte ich Mark und Chrissy direkt über seine Schulter zu.
Ein zufriedenes Schmunzeln erschien auf Nathaniels Gesicht.
Gemeinsam mit den beiden und Nathaniel im Schlepptau ging ich über den Schulhof und dann die Treppe hinauf. Im ersten Stock gesellte sich Anne zu uns.
»Hi«, sagte sie fröhlich. »Wer ist es?«
»Wer ist was?«, fragte ich.
»In wen bist du verliebt?«
Ich spürte, wie mir das Blut aus den Wangen wich. »Lass den Quatsch«, blaffte ich und stieg die Stufen weiter in den dritten Stock.
»Ich werde es schon herausfinden …«
»Was habe ich verpasst?«, fragte Mark.
»Tom steht auf Victoria«, sagte Anne.
Mark schwieg verräterisch.
Chrissy gab ihm einen entrüsteten Schubs. »Du wusstest das? Und sagst kein Wort?«
»Er ist mein bester Freund, was hätte ich denn tun sollen?« Mark hob entschuldigend die Hände. »Außerdem bist du seine Schwester, hat er dir etwa nichts erzählt?«
»Ungefähr so, wie ich ihm von uns beiden erzähle?«
»Gutes Argument«, murmelte Mark.
»Also raus damit«,
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