Unter goldenen Schwingen
läutete.
Nathaniels Eingreifen schien gewirkt zu haben, denn für den Rest des Schultags tauchte kein Inferni mehr auf. Nach der letzten Stunde schlenderte ich mit Nathaniel über den Schulhof zum Parkplatz. Er hielt meine Hand und meine Entspannung hatte die Sorge in seinem Blick etwas gemildert.
Also, auf zum Familientreffen?
Er sah mich verwundert an.
Mein Traum?
»Richtig. Verzeih mir. Also dann, auf zum Friedhof.«
Wie gemütlich. Wird das jetzt Tradition?
»Nachdem die Inferni wieder aufgetaucht sind, halte ich den Friedhof für den sichersten Ort.«
Wir erreichten den Parkplatz und ich blickte mich angespannt um, in der Erwartung, gleich irgendwo einige der grässlichen Wesen zu sehen. Nathaniel nahm meinen suchenden Blick wortlos zur Kenntnis.
Was denn, kein Empfangskomitee?
Plötzlich breitete sich ein Schmunzeln auf Nathaniels Gesicht aus.
Was ist?
»Ich freue mich«, erklärte er.
Worüber?
»Über dich.«
Ich blickte ihn verständnislos an. Nathaniel lachte sein wundervolles Lachen. Er sah atemberaubend aus.
»Ich glaube, du hast tatsächlich ein bisschen weniger Angst vor ihnen.«
Na ja, deine Feuershow war überzeugend. Außerdem überschüttest du mich seit Stunden mit diesem Geborgenheitsgefühl, ich bin schon ganz high davon …
Er drückte mich glücklich an sich, und die Schmetterlinge in meinem Bauch explodierten.
FRIEDHOFSGEHEIMNISSE
Ich stellte den Mini Cooper vor dem Friedhof ab und folgte Nathaniel durch das Haupttor. Zu meiner Überraschung führte er mich zu Adalbert Kasters Haus.
»Bist du sicher, dass er uns sehen will?«, murmelte ich zweifelnd und dachte an den letzten frostigen Abschied.
Kaum näherten wir uns der Tür, ertönte Kasters ungehaltene Stimme. »Kommt schon herein!«
Mit einem geduldigen Lächeln auf den Lippen öffnete Nathaniel die Tür und ließ mich eintreten. Adalbert Kaster saß auf seinem Sofa und musterte uns über den Rand seiner Zeitung.
»Zwei Besuche in drei Tagen«, brummte er. »Das ist wirklich zu viel der Ehre.«
Nathaniel schloss die Tür hinter uns. Ich stand mitten im Zimmer, vergrub meine Hände in den Taschen und wusste nicht, was ich sagen sollte. Was wollten wir überhaupt hier?
»Habt ihr nichts Besseres zu tun, als einen alten Mann um seine Ruhe zu bringen?«
»Wir brauchen geweihten Boden«, sagte Nathaniel unbeirrt.
»Da draußen gibt es jede Menge davon«, brummte Kaster. Doch er ließ seine Zeitung sinken. »Gibt es wieder ein Inferniproblem?«
»Nur das Übliche«, sagte Nathaniel. »Aber wir haben ein Dämonenproblem.«
»Du kannst wirklich nichts auslassen, was, Mädchen?«
»Wir sind hier, weil wir mit Ra und Sera reden wollen«, sagte Nathaniel. »Und wir brauchen sicheres Terrain.«
Kaster lehnte sich zurück und deutete mit einer ausladenden Geste auf das Friedhofsgelände. »Tut euch keinen Zwang an.« Er blickte Nathaniel wartend an, doch der goldene Engel rührte sich nicht.
»Ich möchte dich um deine Hilfe bitten«, sagte Nathaniel schließlich.
Kaster sah nicht begeistert aus.
»Ich möchte dich bitten, ein Auge auf Victoria zu haben, während ich mit den anderen rede.«
»Was?«, protestierte ich überrascht. »Kommt nicht in Frage! Ich will dabei sein.«
»Bitte.« Nathaniel drückte sanft meinen Arm. »Adalbert?«
»Sehe ich etwa aus wie ein Babysitter?« Kasters Blick war missfallend auf Nathaniels Hand gerichtet. Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann legte der Mann ärgerlich die Zeitung zur Seite, erhob sich und machte eine wedelnde Handbewegung Richtung Tür. »Jetzt hau schon ab.«
Nathaniel ließ mich los. »Ich bin gleich zurück.«
Ich öffnete den Mund, doch er ließ mich sofort verstummen.
»Bitte, Victoria.« Der Wunsch in seinen schönen Augen war unmissverständlich.
Ich verschränkte die Arme.
Verdammt. Als ob ich dir widerstehen könnte.
»Danke.« Nathaniel nickte Kaster zu und verließ mit raschen Schritten das Haus.
Ich blickte ihm durch das Fenster nach und sah, dass ihn Ramiel und Seraphela draußen bereits erwarteten.
Kaster trat an meine Seite. Sein Blick war auf Nathaniel gerichtet. »Die meisten Menschen sind blind für das Offensichtliche. Sie sehen einfach nicht richtig hin, selbst wenn Inferni wie Osterhasen um sie herumhüpfen. Und mal ehrlich, der Kerl mit den Flügeln ist auch nicht gerade leicht zu übersehen.«
»Ich verstehe nicht, wie ich früher so blind sein konnte«, murmelte ich und beobachtete Nathaniel, der zornig gestikulierend mit
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