Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Zorn über den sinnlosen Tod des Kameraden stand ihnen in die Gesichter geschrieben. Selbstverständlich hatte es sich Jerome Harding, derPolizeipräsident, nicht nehmen lassen, an dieser von der Öffentlichkeit sehr beachteten Beerdigung teilzunehmen. Außer ihm waren Beamte des Innenministeriums, hochrangige Beamte des NYPD und der Bürgermeister von New York City gekommen. Harding hielt am offenen Grab eine halbstündige, flammende Rede, in der er ein noch härteres Durchgreifen gegen jeden Kriminellen forderte. Nick Kostidis fasste sich in seiner Rede kurz. Er wusste, dass Hardings übertriebenes Pathos in dieser Situation fehl am Platze war und beschränkte sich daher auf mitfühlende und tröstende Worte an die Familie und die Kollegen des Verstorbenen. Außerdem dankte er allen Polizisten für ihre oft so gefährliche und dennoch so wichtige Arbeit. Frank Cohen stand ganz hinten und bewunderte wieder einmal die Begabung seines Chefs, in jeder Lage spontan die richtigen Worte zu finden. Obwohl er diesen jungen Polizisten überhaupt nicht gekannt hatte, war Frank ehrlich ergriffen. Als der offizielle Teil der Beerdigungsfeier vorüber war und Nick den Eltern und der jungen Witwe kondoliert und unbürokratische Hilfe seitens der Stadtverwaltung zugesagt hatte, gingen die beiden Männer schweigsam über den Friedhof zurück zu der wartenden Limousine. Carey Lhota nahm den Grand Central Parkway bis zur 31. Straße, bis er später auf den Long Island Expressway fuhr, um durch den Queens-Midtown-Tunnel zurück nach Manhattan zu gelangen.
»Es ist eine verdammte Schande, dass so junge Leute sterben müssen«, sagte Nick nach einer Weile und starrte düster auf die vorbeiziehenden Häuserblocks. »Es ist so absolut sinnlos.«
»Ganellis Eltern waren wirklich getröstet durch Ihre Worte«, bemerkte Frank. »Die Leute merken, dass Sie es ehrlich meinen.«
»Ich wünschte, ich hätte ihnen ehrliche Worte zu seiner Tapferkeitsauszeichnung sagen können, und nicht zu seiner Beerdigung.« Nick lehnte sich müde zurück. Die letzten Wochen waren sehr anstrengend gewesen. Der Erpresser hatte sich nicht mehr gemeldet und das FBI hatte trotz intensiver Suche nicht feststellen können, ob irgendwann aus einem Labor Milzbranderregerkulturen entwendet worden waren. Die Schlammschlacht der gegenseitigen Verdächtigungen zwischen Nick und Sergio Vitali befand sich im Augenblick in einem Zustand des Waffenstillstands,und die Presse beschäftigte sich vorübergehend mit anderen Themen, nachdem die Obduktion Cesare Vitalis eindeutig einen Tod durch Genickbruch ergeben hatte, herbeigeführt durch das Erhängen mit einem Ledergürtel. Eine äußere Gewaltanwendung, die direkt im Zusammenhang mit dem Tode des jungen Mannes stand, hatte nicht nachgewiesen werden können. Aber trotz der oberflächlichen Entspannung der Lage schienen sich bereits neue, bedrohliche Wolken am Horizont zu ballen. Heute Morgen hatte Nick auf seinem Schreibtisch einen Brief ohne Absender gefunden. Das kam öfter vor, aber dieser Brief hatte keinen Poststempel und keine Briefmarke getragen, und sein Inhalt war beängstigend. Sie werden sterben, wenn Sie nicht schweigen , hatte da gestanden, mehr nicht. Es hatte sich um ein einfaches weißes Blatt ohne Wasserzeichen gehandelt, ein normales Blatt Kopierpapier. Und die Schrift stammte offensichtlich aus einem Laserdrucker. Niemand im Büro wusste, wie der Brief auf den Schreibtisch des Bürgermeisters gelangt war. Nick hatte ihn kopfschüttelnd zerknüllt und in den Papierkorb geworfen, nachdem er die Worte rasch überflogen hatte. Aber Frank hatte das Schreiben aus dem Papierkorb gefischt und eingesteckt.
»Nick«, begann er nun vorsichtig, als sie den Tunnel hinter sich gelassen und Manhattan erreicht hatten, »ich weiß, dass Sie es nicht hören wollen, aber ich mache mir ernsthafte Sorgen wegen dieses Briefes.«
»Ach was«, Nick lächelte nachsichtig, »Sie wissen doch, wie viele solcher Drohbriefe ich in meinem Leben schon bekommen habe. Das ist eben so, wenn man ein politisches Amt bekleidet. Bei irgendwem macht man sich immer unbeliebt.«
»Nein«, widersprach Frank, »diesmal ist es anders. Besonders vor dem Hintergrund dessen, was in den letzten Wochen geschehen ist. Ich habe das Gefühl, dass dies eine ernst gemeinte Drohung ist. Vielleicht ist es dieser dubiose Erpresser, vielleicht steckt aber auch Vitali dahinter. Sie haben ihn durch Ihre Äußerungen ziemlich in die Enge getrieben.«
»Anonyme
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