Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
war alles anders geworden. Constanzia hatte ihn verlassen, Cesare war tot und durch Alex erzitterte sein Imperium gefährlich in den Grundfesten. Sergio vergrub die Hände in den Hosentaschen und richtete sich auf, als er an sie dachte. Alex hatte ihn gedemütigt, seinen Stolz verletzt und nun auch noch belogen und bestohlen. Durch sie hatte er eine Niederlage einstecken müssen, die schmerzte. Aber eine verlorene Schlacht war noch kein verlorener Krieg.
»Hallo, Sergio.«
Er zuckte zusammen und fuhr herum. Beim Anblick seines alten Freundes erschrak Sergio. Nelson hatte in den letzten Wochen sicherlich 25 Kilo an Gewicht verloren, er hatte eine ungesunde graue Gesichtsfarbe und dunkle Schatten unter den Augen.
»Nelson, alter Freund«, er ging auf ihn zu und ergriff herzlich seine Hand, »wie geht es dir?«
»Es wird wohl nicht mehr besser«, entgegnete Nelson mit heiserer Stimme. »Die Ärzte wollen, dass ich noch eine Chemotherapie mache, aber ich will nicht. Ich werde dadurch nicht mehr gesund.«
Er ging zu einem Sessel und setzte sich schwerfällig.
»Warum versteckst du dich vor mir?«, fragte Sergio unvermittelt.
»Macht das den Eindruck?«
»Ja.«
»Vielleicht hast du Recht«, Nelson seufzte, »ich bin dir wohl eine Erklärung schuldig.«
Sergio setzte sich in einen anderen Sessel ihm gegenüber.
»Ich habe dir einmal gesagt, dass ich nicht mehr mitmache, wenn du den Bürgermeister umbringen lässt. Erinnerst du dich daran?«
»Ja, du hast irgend so etwas gesagt«, Sergio nickte ungeduldig, »Kostidis ist gesund und munter. Was willst du also?«
»Du hast eine Bombe in seinem Auto installieren lassen, die vier Menschen getötet hat«, sagte Nelson, »und du hast mich angelogen, als du mir versichert hast, dass du damit nichts zu tun hast. Ich habe dir geglaubt.«
Sergio sah ihn an, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Als Kostidis noch immer lebte, hast du Natale auf den Friedhof geschickt«, fuhr Nelson fort, »und ich bin mir auch sicher, dass du den Auftrag gegeben hast, deinen eigenen Sohn zu töten, auch wenn du es mir gegenüber abgestritten hast.«
Er verstummte und sah den Mann an, der ihm gegenüber saß. In all den langen Jahren, in denen sie zusammengearbeitet hatten, hatte Nelson van Mieren Sergios Intelligenz, seine Energie und seine unglaubliche Willenskraft bewundert. Er hatte Sergios Entscheidungen nie in Frage gestellt, auch wenn Menschen sterben mussten, doch nun konnte er das nicht mehr. Vielleicht war es die Tatsache, dass sein eigener Tod in greifbare Nähe gerückt war, die ihn hatte erkennen lassen, dass er einen falschen Weg in seinem Leben eingeschlagen hatte. Das gigantische Imperium, das sie gemeinsam aufgebaut hatten, war auf Blut und Angst gegründet, seine Entstehung hatte viele Menschen das Leben gekostet. Geblendet von Ruhm, Erfolg und Macht hatte Nelson sich daran gewöhnt, und der Tod eines Menschen war für ihn nie etwas Persönliches gewesen, sondern lediglich Mittel zum Zweck, genau wie Bestechung und Bedrohung. Das alles gehörte einfach zum Geschäft, und er hatte sich niemals wirklich Gedanken darum gemacht. Bis zu der Nacht, als auf Sergio geschossen wurde. In dieser Nacht hatte er die Zukunft Sergios und auch seine eigene mit erschreckender Klarheit gesehen. Sie waren, genau wie die großen Mafiafamilien ein paar Jahrzehnte zuvor, zum Untergang verurteilt, wenn es ihnen nicht gelang, die gefährlichenund illegalen Geschäftsbereiche abzustoßen. Nelson hatte versucht, Sergio dazu zu überreden, aber dieser war gegen jedes Argument taub gewesen, besessen vom berauschenden Gefühl der Macht und der verführerischen Illusion der Unantastbarkeit. Mit einem Mal waren die Zweifel gekommen und mit ihnen die Angst. Den Ausschlag aber hatte schließlich die Sache mit Kostidis gegeben. Sergio unterschätzte diesen Mann noch immer. Und das würde eines Tages fatale Folgen haben.
»Ich weiß nicht, ob meine Nerven schlechter oder mein Gewissen lauter geworden ist«, sprach Nelson schließlich weiter, »ich weiß nur, dass ich dir nicht mehr vertraue. Du hast mich belogen und lässt mich sogar von Lucas Leuten überwachen. Das ist keine Basis mehr für eine Zusammenarbeit und deshalb habe ich mich dazu entschlossen, nicht länger für dich zu arbeiten. Die letzten Monate, die mir bleiben, möchte ich in Ruhe verbringen.«
Sergio blieb äußerlich gelassen, aber seine Augen waren kalt wie Eis.
»Wir sind einen langen Weg zusammen gegangen und haben ein erfolgreiches
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