Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Unternehmen aufgebaut«, sagte Nelson. »Ich hatte angenommen, die Zeit des Mordens sei vorüber und wir hätten es geschafft, auf die legale Seite zu gelangen. Das war immer mein Ziel. Aber ich muss feststellen, dass sich die Schatten der Vergangenheit nicht einfach abschütteln lassen.«
Er lächelte traurig.
»Es tut mir leid, dass ich dir das sagen muss, Sergio. Unsere Wege werden sich trennen.«
»Das geht nicht!«, erwiderte Sergio und sprang auf. »Du kannst nicht einfach kündigen wie ein Angestellter in einem Supermarkt! Ich brauche dich, Nelson! Ich kann nicht auf dich verzichten!«
»Das wirst du in Zukunft aber müssen«, Nelson zuckte die Schultern. »Du hast eine Menge cleverer junger Anwälte in der Rechtsabteilung, die rücksichtsloser und ehrgeiziger sind, als ich es noch bin. Du wirst einen Nachfolger für mich finden.«
Sergio starrte seinen ältesten Freund ungläubig an. Bisher hatte er geglaubt, er könne Nelson irgendwie besänftigen, aber nun begriff er, dass sein Weggefährte einen unumstößlichenEntschluss gefasst hatte. Er war nicht länger auf seiner Seite. Sergios Zorn mischte sich mit ernster Besorgnis. Nelson war wichtig für ihn. Er wusste alles, kannte alle Zusammenhänge und Verbindungen so gut wie er selbst. All die Jahre hatte Sergio sich bedenkenlos auf ihn und seinen loyalen Ratschlag verlassen können, Nelson war seine stärkste Stütze und Hilfe. Menschen wie St. John oder Alex waren ersetzbar, nicht aber Nelson.
»Was wirst du jetzt tun? Wirst du zur Polizei gehen?« Sergio zwang sich zu einem spöttischen Tonfall. »Wirst du deine große Lebensbeichte ablegen und ein Buch schreiben? Woher kommen deine plötzlichen Gewissensbisse? Was ist auf einmal anders als früher? Du bist durch mich reich und mächtig geworden, Nelson, deine Familie ist versorgt. Du verstehst doch auch, weshalb ich das alles tun musste! Es ist wie im Dschungel: fressen oder gefressen werden. Ich eigne mich nicht als Beute! Ich habe immer gekämpft und hart gearbeitet. Wie kann ich mir da alles, was ich aufgebaut habe, von irgendeinem dahergelaufenen Idioten ruinieren lassen?«
Er starrte Nelson aus brennenden Augen an.
»Ich muss mich wehren, wenn ich angegriffen werde! Das verstehst du doch, oder?«
»Natürlich«, erwiderte Nelson mit müder Stimme, »aber die Art und Weise, wie du dich wehrst, kann ich nicht mehr akzeptieren. Ich sehne mich nach Ruhe und Frieden. Dieser ewige Krieg, das Taktieren, die Drohungen, die Brutalität und diese ganze Anspannung sind nichts mehr für mich. Ich fühle mich alt und ausgebrannt, und ich fürchte mich davor, eines Tages einen Fehler zu machen.«
»Du machst keinen Fehler.«
»Doch! Ich habe ihn schon gemacht! Ich hätte dich zwingen sollen, die Finger von Kostidis zu lassen. Du hast dich zu sicher gefühlt, Sergio, und das war falsch. Du wolltest nie auf meine Warnungen hören, und jetzt ist Kostidis nicht mehr nur dein Gegner sondern dein Feind. Und glaube mir, er ist ein mächtiger und sehr gefährlicher Feind.«
»Ich habe keine Angst vor Kostidis«, Sergio machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Die solltest du aber haben«, erwiderte Nelson. »Man darf seine Gegner nie unterschätzen, und du weißt genau, dass deine Verbündeten zum großen Teil nur sehr widerwillig zu dir halten. In dem Moment, wenn du angegriffen wirst, werden sie ihre Loyalität ganz schnell vergessen und dich im Stich lassen. Glaubst du, dass Levy zu dir hält, wenn du in Schwierigkeiten gerätst?«
»Du redest immer von Schwierigkeiten und Problemen. Ich habe keine! Alles läuft wunderbar«, sagte Sergio gereizt.
»Du bist sehr hochmütig«, Nelson schüttelte langsam den Kopf, »mach doch die Augen auf! Du hast Probleme am Hafen, und wie es aussieht, jetzt auch bei LMI. Warum verzichtest du nicht auf den illegalen Teil deiner Unternehmungen? Wie reich willst du noch werden? Oder hast du Angst, dass jemand mächtiger werden könnte als du? Weshalb setzt du alles aufs Spiel?«
»Ich setze nichts aufs Spiel«, entgegnete Sergio kalt, »und ich bin auch nicht hochmütig.«
»Oh doch, das bist du. Du glaubst, du kannst die Menschen wie Schachfiguren hin- und herschieben, sie bedrohen und ausbeuten. Aber eines Tages wird jemand kommen, der genauso clever und rücksichtslos ist wie du. Du denkst, du bist unantastbar, aber das bist du nicht. Du stehst nicht über dem Gesetz, du hast bisher nur sehr viel Glück gehabt.«
»Wer sollte an mich herankommen? Sag mir das!
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