Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Wer?«
»Was ist mit MPM wirklich los?« Nelson seufzte. »Wer hat St. John erschossen? Alex war es nicht.«
»Und wenn schon. Die Polizei glaubt es.«
»Du hast ihn umbringen lassen, weil er dir gefährlich wurde«, in Nelsons Augen glaubte Sergio einen Anflug von Spott zu erkennen, »und dann hast du es deiner kleinen Freundin in die Schuhe geschoben, weil sie dich verlassen hat, so wie Constanzia, und das konnte deine Eitelkeit nicht vertragen.«
»Das ist doch alles Quatsch!«, fuhr Sergio wütend auf, aber die Wahrheit in Nelsons Worten schmerzte wie ein Stachel in seinem Fleisch.
»Hat sie etwas über dich herausbekommen?«
»Nein«, Sergio vermied es, den Freund anzusehen, »ja ... vielleicht ... ich weiß es nicht ...«
»Du bist dabei, die Kontrolle zu verlieren«, sagte Nelson leise, »und das ist sehr gefährlich.«
Sergio atmete schwer und versuchte, seinen auflodernden Zorn zu beherrschen. Er hatte es schon immer gehasst, jemanden um etwas zu bitten, aber nun musste er sich dazu erniedrigen.
»Ich werde alles tun, was du vorschlägst, Nelson«, er senkte demütig den Kopf. »Ich habe mich zu Fehlern hinreißen lassen, aber das wird nicht mehr passieren. Du hast Recht, wenn du sagst, dass mit dem Blutvergießen Schluss sein muss. Ich bitte dich, um unserer alten Freundschaft willen, lass mich jetzt nicht im Stich.«
Nelson blickte Sergio ernst und nachdenklich an. Er wusste nur zu gut, wie schwer es Sergio Vitali fiel eine solche Bitte auszusprechen, und für einen kurzen Augenblick war Nelson versucht, die Entscheidung, die er getroffen hatte, zu revidieren. Die beiden Männer sahen sich eine Weile an, bis Nelson mit einem Seufzer aufstand. In den Augen von Sergio hatte er keine Bitte gesehen, sondern nur Zorn und Kälte. Sergio würde überhaupt nichts ändern, seine scheinbare Demut war nichts anderes als Taktik.
»Gut«, sagte Nelson.
»Kommst du morgen wieder ins Büro?«, fragte Sergio. »Wenigstens für ein paar Stunden, damit wir einige Dinge durchsprechen können.«
»Ja. Ich werde kommen.«
Ein Ausdruck der Erleichterung huschte über Sergios Gesicht, bevor er Nelson kurz umarmte.
»Dann bis morgen, mein Freund«, sagte er.
***
Nelson van Mieren beobachtete vom Fenster aus, wie Sergio zu seiner Limousine ging und einstieg.
»Ist er weg?«
Nelson drehte sich um. Constanzia Vitali und Carmen, seine Frau, erschienen im Türrahmen.
»Ja«, Nelson nahm das kleine Aufnahmegerät aus der Tasche seines Hausmantels, drückte auf die STOP-Taste und reichte es Constanzia.
»Was wirst du tun?«, fragte sie. »Wirst du wirklich wieder zu ihm gehen?«
»Nein«, Nelson seufzte und schüttelte den Kopf, »mein Entschluss steht fest. Allerdings tut es mir leid, dass du ...«
»Das muss dir nicht leid tun«, unterbrach Constanzia ihn rasch und umarmte ihn, »und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Ich habe seit Jahren auf eine Möglichkeit gewartet, mich an ihm für all das, was er mir und anderen angetan hat, zu rächen. Ich habe keine Angst vor ihm.«
Nelson van Mieren lächelte traurig.
»Du bist sehr mutig, Connie.«
»Einer muss es tun«, in ihren Augen schimmerten die Tränen, »Sergio hat so viele Menschen auf dem Gewissen. Und es geht immer weiter.«
Für einen Moment war es bis auf das Geräusch des Regens, der gegen die Fensterscheiben prasselte, ganz still.
»Ich sollte das tun, was du jetzt tun willst«, Nelsons Stimme klang brüchig, »aber ich bin zu feige. Ich war mein Leben lang zu feige.«
Er wandte sich zu seiner Frau um.
»Verzeih mir, Liebling«, murmelte er, »es tut mir leid.«
Dann drehte er sich um und ging mit unsicheren Schritten in sein Arbeitszimmer. Er schloss die Tür hinter sich und setzte sich an seinen Schreibtisch. Wo sich früher Akten und Notizen gestapelt hatten, herrschte nun völlige Leere. Es gab keine Hoffnung mehr, dass er jemals wieder gesund werden würde. Der Krebs hatte seinen Körper zerfressen, heimtückisch und leise, bis es zu spät gewesen war. In den letzten Wochen hatte Nelson sich auf den Tod vorbereitet und nun war er bereit, zu gehen. Der Raum war erfüllt vom süßlichen Duft verwelkender Blumen, die in einer Vase auf dem breiten Sims des Kamins standen. Er nahm aus der obersten Schreibtischschublade die Pistole und betrachtete sie andächtig. Vor vielen Jahren hatte er die Waffe von Sergio bekommen, aber er hatte sie noch nie benutzt. Bis heute. Nelsons Blick wanderte zum Fenster. Es war ein matschiger, düsterer Tag. Der
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