Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Mafiabosse, abtrünnige Börsenmakler und Investmentbanker, Mörder, Vergewaltiger, Drogendealer, Obdachlose. Aber diesmal treten wir auch angesehenen Politikern auf die Füße«, Nick seufzte, »und eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Das war schon immer so.«
Vor den Fensterscheiben rieselten die Schneeflocken vom schiefergrauen Dezemberhimmel. Früher hatte Nick die Wochen vor Weihnachten geliebt, die feierlich geschmückte Stadt, die prächtig dekorierten Schaufenster, den Schnee im Central Park,die erwartungsvoll glänzenden Kinderaugen bei der großen Christmas-Parade und die Schlittschuhläufer vor dem Rockefeller Center und im Park. Angesichts des kurz bevorstehenden Weihnachtsfestes verschwand jedes Jahr die kalte, rücksichtslose Hektik der Stadt für ein paar Tage und jedermann schien ein wenig freundlicher zu sein als üblich. Doch heute bemerkte Nick das alles nicht. Zuhause gab es keinen Weihnachtsbaum und das Schreiben der Grußkarten erledigten in diesem Jahr statt Mary die Mitarbeiter seines Stabes. Zum ersten Mal seit 25 Jahren würde Nick an Weihnachten nicht zu Marys Familie nach Montauk fahren. Das Telefon mit der Direktleitung auf Nicks Schreibtisch summte. Er nahm ab.
»Mr Kostidis?«, sagte eine Frauenstimme, die Nick nicht kannte.
»Ja, am Apparat.«
»Sind Sie es wirklich?«
»Ja, natürlich. Mit wem spreche ich?«
»Moment mal«, sagte die Frau, »bleiben Sie dran. Hier ist jemand, der mit Ihnen sprechen möchte.«
Connors beobachtete, wie sich Nicks Gesichtsausdruck veränderte. Die hoffnungslose Müdigkeit verschwand schlagartig und der Bürgermeister richtete sich wie elektrisiert auf.
»Nick?«, hörte er eine Stimme und glaubte, sein Herz müsse vor Erleichterung stehen bleiben. Sie war es!
»Alex!«, rief er und Connors fuhr hoch. »Wo bist du? Wie geht es dir?«
»Nick«, sagte Alex mit dünner Stimme, »kannst du mich holen?«
»Ja, natürlich!«, rief Nick aufgeregt. »Wo bist du? Sag es mir! Ich komme sofort!«
»Ich bin in Brooklyn«, erwiderte Alex und ihre Stimme klang undeutlich. »Es ist eine Bar. Sie heißt Blue Balou und liegt an den Docks, unterhalb des Brooklyn-Queens-Expressway.«
»Das finde ich. Ich fahre sofort los«, Nick spürte, dass er am ganzen Körper zitterte.
»Okay«, flüsterte Alex, »bitte komm schnell.«
Nick legte den Hörer auf und sprang auf. Ihm war vor Erleichterung und Glück ganz schwindelig. Sie war nicht tot!
»Wir müssen auf der Stelle nach Brooklyn fahren«, rief er aufgeregt. Der Staatsanwalt blickte ihn mit einer Mischung aus Hoffnung und Misstrauen an.
»Das hört sich für mich verdammt nach einer Falle an«, sagte er nachdenklich. »Du fährst nicht alleine dorthin. Ich rufe Spooner an. Er soll dich begleiten.«
Nick starrte ihn an. In seiner Erleichterung hatte er überhaupt nicht an die Möglichkeit gedacht, dass man Alex gezwungen haben könnte, bei ihm anzurufen, um ihn in einen Hinterhalt zu locken. Wenn das der Fall war, schwebte Alex noch immer in Lebensgefahr! Und er auch, wenn er jetzt dorthin fuhr.
»Nick, bitte!« Connors hatte den Telefonhörer schon in der Hand.
»Gut«, stimmte Nick, wenn auch widerwillig zu.
***
Das Blue Balou entpuppte sich als eine heruntergekommene Spelunke an den Docks. Die Leuchtschrift und die bunten Lämpchen täuschten in der Dunkelheit etwas über die Schäbigkeit des Ladens hinweg, aber zweifellos war es der Ort, den Alex genannt hatte.
»Hier soll sie sein?« Spooner zog die Augenbrauen hoch.
»Gibt es noch eine andere Kneipe mit diesem Namen in Brooklyn an den Docks?«, fuhr Nick den Beamten ungehalten an.
»Wir überprüfen das Etablissement«, sagte Spooner. »Sie bleiben solange im Wagen.«
»Nein«, Nick öffnete die Tür und stieg aus, » Sie bleiben hier, Spooner.«
»Wir haben die Anweisung, auf Sie aufzupassen, Mr Kostidis«, mischte sich Spooners Kollege Khazaeli ein, »wenn es eine Falle sein sollte …«
»... dann habe ich eben Pech gehabt!« Nick knallte die Autotür zu. Hatte Alex nicht auch einmal ihr Leben für ihn riskiert? Er war es ihr schuldig, dass er zu ihr ging, und das ohne die beiden Polizisten. Aber Deputy Spooner trat ihm in den Weg.
»Bürgermeister oder nicht«, sagte er. »Ich habe meine Anweisungen und ich denke nicht daran, mir wegen Ihrer Sturheit eine Suspendierung einzuhandeln.«
»Das ist mir ziemlich egal«, erwiderte Nick, »lassen Sie mich durch!«
Er drängte den US-Marshal zur Seite und ging um das Gebäude herum,
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