Unter Korsaren verschollen
gestürzt. Die im Hafen gelegenen Piratenschiffe sind in Flammen aufgegangen; meinem Herrn scheint es aber nicht sicher, daß unsere Schiffe in Zukunft ungehindert das Mittelländische Meer kreuzen können.«
Für Minuten herrscht Totenstille. Jeder ist mit sich und seinen Unternehmungen beschäftigt. Manche, die über keine finanziellen Rückhalte verfügen, sind kalkweiß geworden. Da war vor ihnen das Tor zu Reichtum und Macht geöffnet gewesen. Im Augenblick, als sie es durchschreiten wollten, schlug es zu. Sie werden klein bleiben. Was sollen sie nun noch mit Gravellis Krediten?
Dann beginnt ein Fragen und Drängen um Parvisis Geschäftsführer.
Man will mehr über die Angelegenheit erfahren. Einer überschreit den anderen, so daß keiner etwas verstehen kann. Es ist auch nicht nötig. Ein bedauerndes Achselzucken zeigt, daß keine weiteren Auskünfte gegeben werden können.
Gravelli lehnt an der Säule. Er zittert.
Unten! Es ist ihm, als ob sich die Erde geöffnet habe und nur darauf warte, daß er in den riesigen Schlund stürze. Ein kühnes Gebäude großer Gaunerei ist zusammengebrochen. Aber nicht nur das. Der Mut, der Glaube an das Gelingen seiner Pläne ist fort, weggewischt. Aus.
Alt, verbraucht, schlapp.
Schlurfenden Schrittes geht er von dannen.
»Ein feiner Mensch, unser Andrea Parvisi.« – »Anständig, höchst anständig von Andrea, daß er uns sofort unterrichtet.« – »Man muß Parvisi tausend Dank sagen!« –
»Was hätte Parvisi gewinnen können, wenn er ein paar Tage geschwiegen hätte!« Jede dieser Äußerungen, die Gravelli beim Hinausgehen auffängt, schneidet ins Herz.
Unten, unten! hämmern die Gedanken. Von überallher höhnt es, jeder Tritt auf das Pflaster der Straße schreit es ihm entgegen. Zum Wahnsinnigwerden.
Nicht weit der Weg, und doch eine Ewigkeit. Und man kann nicht stehenbleiben, sich nicht an eine Hausmauer lehnen und warten, bis der Anfall vorüber ist. Hinter ihm kommen noch mehrere Kaufleute.
Er preßt die Lippen aufeinander, die Zähne. Warum das alles? Er weicht der Frage aus. Man muß einmal aus-spannen, aufs Land fahren, alle Gedanken an Geschäfte unterdrücken. Parvisi strotzt von Kraft und Gesundheit.
Ihm hat er dazu verholfen, und er selbst ist am Ende.
Unten! Verfluchtes Wort. Aber es ist nicht zu bannen, wirkt unerbittlich, wie nichts sonst auf der Welt. Zermürbt, zerstört.
In der »Osteria del mare« am Hafen sitzen sie zusammen, die Fischer, Hafen- und Transportarbeiter, Seeleute, Tagelöhner, Händler – Menschen verschiedener Nationen und Farben. Ein altes Weib schiebt sich bettelnd von Tisch zu Tisch. Nicht oft gleitet eine kleine Münze in ihre welke, zitternde Hand. Eher bietet man der Frau einen Schluck Wein oder ein Stück Brot an. Den Segen Gottes und der Heiligen Jungfrau fleht sie als Dank auf die Gebenden herab, die selbst nicht zu den Begüterten gehören. Dennoch geben sie, hoffend, daß ihnen dadurch ein gleich bitteres Los im Alter erspart bleiben möge.
Vielerlei Sprachen und Dialekte schwirren in der Schenke durcheinander.
»Was ist? Höre ich richtig, Gevatter? Luigi Parvisi ist zurückgekehrt?« wendet sich ein alter Fischer, der eben erst mit seiner Barke vom Fang in den Hafen eingelaufen ist, an den Tischnachbarn.
»Ja, freilich, er ist wieder da. War lange bei den Barbaresken.«
»Als Sklave? Erzähl, das muß ich genau erfahren.
Wenn ich daran denke, der Sohn eines der reichsten Männer Genuas in der Sklaverei, das ist eine Sache.«
»Nun, viel weiß ich nicht«, wehrt der andere ab. »Es gehen so allerhand Erzählungen in der Stadt um. Ob sie wahr sind, dafür kann ich mich nicht verbürgen.«
»Mach schon!« drängt der Fischer.
»Sklave war er nicht.«
»Schade! – Zieh kein schiefes Gesicht, Alter, es ist nicht bös gemeint. Ich wünsche es keinem, ein solches Leben führen zu müssen. Es war Enttäuschung, nun um eine aufregende Geschichte zu kommen. Ja, aber warum blieb er dann über Jahre von Hause fern?«
»Er hat seinen Sohn gesucht, der von den Korsaren ver-schleppt worden ist«, berichtet der Gevatter Fischhändler.
»Und nun hat er ihn gefunden?«
Der Fischhändler wackelt mit dem Kopf. Die Frage macht ihm klar, daß er nicht genau unterrichtet ist. »Ich glaube nicht, mein Freund hätte sonst davon gesprochen.«
»Verstehe ich nicht. Ich würde nicht ohne mein Kind heimkehren!«
»Ich auch nicht, und wenn ich allen Türken den Kopf abschneiden müßte!« Ein anderer hat den Einwurf
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