Unter Korsaren verschollen
vor Tod und Teufel nicht zurück. Ihre Aufgabe ist nicht schwer, da Benelli und der Dey nicht mehr im Wege stehen. Etwas Spürsinn, keine Schüchternheit im Umgang mit Menschen – es wird gelingen.
Welche Abschlüsse Andrea eben tätigt, kann man im Augenblick nicht erfahren. Die Spitzel werden später darüber berichten.
Jetzt geht Andrea. Kein Blick herüber zur Säule. Er hat den Kopf etwas zur Seite gelegt, ist anscheinend in den Bericht seines Geschäftsführers vertieft. Es kann keinem der Anwesenden, soweit sie gerade in die Richtung der Säule blicken, der Gedanke kommen, daß die Nicht-beachtung Gravellis eine feindselige Handlung sei.
Wieder vergehen Tage angestrengten Arbeitens. Der Sekretär fühlt sich im siebenten Himmel, vielleicht er-hält er einmal gleiche Vollmachten wie sein Kollege bei Parvisi. Der Großkaufmann hat auf der Börse bekanntgegeben, daß sein junger Mitarbeiter nach wie vor sämtliche Vollmachten besitzt.
So anders ist Gravelli geworden. Immer wenn er mit dem Sekretär arbeitet, läßt er Wein und köstliche Nä-
schereien auftischen. Mehrfach hat er schon die Wendigkeit des jungen Mannes anerkannt, gelobt. Die Zu-rückhaltung auf der Börse hat er auch gelockert, läßt kleinere Kaufleute näher kommen, erteilt Ratschläge, bekundet seine Freude darüber, daß das Meer frei von den verfluchten Korsaren ist, daß Europa der Schmach der Sklaverei ein Ende bereitet hat.
Soeben betritt Parvisi die Börsenhalle. An seiner Seite wie immer die »rechte Hand«. Die Herren grüßen her-
über. Im Augenblick ist Gravelli verblüfft. Gilt der Gruß ihm oder denen, die sich in seiner Gesellschaft befinden?
Die Gelegenheit wahrnehmen! Höflich lächelnd grüßt er zurück. Man bemerkt es. Donnerwetter! Eine neue überraschende Lage. Und eine reizvolle dazu. Wer hat den ersten Schritt getan? Parvisi oder Gravelli? Jeder kann es für sich in Anspruch nehmen, jeder kann es ableugnen.
Vermutungen durchzucken die Hirne der Kaufleute.
War es nur das übliche Benehmen gut erzogener Menschen oder mehr? Auf alle Fälle wird man die beiden zukünftig scharf beobachten.
Ein fremder, noch sehr junger Mensch, über und über mit gelbem Staub bedeckt, das Gesicht verkrustet mit Schweiß und Staub, gespornte Stiefel an den Beinen, steht plötzlich in der Tür.
»Monsieur Parvisi?« übertönt seine Stimme das Summen und Tuscheln und Wispern der Kaufleute.
Köpfe wenden sich um. Gespräche verstummen. Aller Augen richten sich nach dem Eingang.
Ein Fremder hier? Warum haben ihm die Türhüter nicht den Eintritt in diesen Bezirk des Geldes verwehrt? Er sucht Andrea Parvisi.
Der Angerufene löst sich aus der Gruppe seiner Geschäftsfreunde, geht zu dem Fremden.
»Sie suchen mich, Herr? Ich bin Andrea Parvisi.«
»Roger de la Vigne. Ich komme aus La Calle. Wo kann ich Sie ungestört sprechen?«
Wie freundschaftlich der Kaufmann dem Fremden die Hand schüttelt. Jetzt umarmt er ihn sogar. »Roger!«
Das Gesicht des Jünglings strahlt vor Freude. Der Vater seines Freundes Luigi hat ihn beim Vornamen genannt, hält ihn seiner Freundschaft für würdig.
»Begleiten Sie mich, Roger. Wir sprechen bei mir zu Hause.«
Was die beiden Männer an der Tür sich zu sagen hatten, weiß keiner der Anwesenden. Unruhe, Unsicherheit hat die Kaufleute befallen. Etwas Außergewöhnliches muß sich ereignet haben, daß Parvisi die Börse ohne ein Wort, ohne eine Entschuldigung verläßt. Wenn man bedenkt, wie der Fremde aussah. Ein Franzose war es. War nicht schon einmal durch Franzosen eine wichtige Nachricht nach Genua gekommen, die sich später als falsch erwies? Vorsicht, Vorsicht, erst einmal keine weiteren Abschlüsse tätigen.
Lustlose Börse nun. Man steht beieinander, bespricht vieles und nichts, behält sich Entscheidungen vor. Morgen vielleicht, wenn man erfahren konnte, was im Hause Parvisi vorgeht, wird man darauf zurückkommen, annehmen oder auch ablehnen.
Da und dort wird plötzlich das Unglücksschiff, die
»Parma«, erwähnt. Bald brandet dieser verhaßte Name auch zu Gravelli. Was ist damit?
Da ein Fetzen, dort einer. Die »Parma« ist der einzige Gesprächsstoff der Börse.
Eine freudige Nachricht für Signore Gravelli: Die »Parma« ist nicht gekapert!
Der Blick, den der Überbringer von dem Finanzmann erhält, läßt ihm weitere erklärende Worte im Munde zu Eis werden.
Wenn diese Nachricht wahr ist, dann bedeutet es, daß Gravelli der Verräter ist, für den man ihn immer gehalten hat.
Weitere Kostenlose Bücher