Unter Korsaren verschollen
Bankier das Krankenlager verläßt, ist er nur noch ein Schatten des alten Gravelli. Müde, tatenlos. Er kann sich nicht mehr besinnen, was er alles zum höchsten Aufstieg tun wollte. Es hat ja keinen Zweck; die schweren Verluste der letzten Zeit zeigen klar und un-mißverständlich, daß ihm nichts mehr gelingt. Das Schicksal ist gegen ihn. Und gegen diese unabänderliche Macht kann kein Mensch sturmlaufen, auch ein Agostino Gravelli nicht. Begonnen hat es – immer wieder gau-kelt der nächtliche Besuch vor seinem Auge – mit der spöttischen Drohung Benellis. Dass zwischen Benelli und dem wohl unaufhaltsamen Niedergang seines Hauses eine Verbindung bestehen könnte, daß sein Verrat an den Mitbürgern diese Verbindung ist, kommt ihm nicht in den Sinn. Er sieht nicht, daß es seine eigenen Handlungen sind, die ihn zu Boden strecken.
Es ist gut, daß in der Stadt während seiner Krankheit alles reibungslos verlief. Die Arbeit des Sekretärs ist lobenswert gut. Große Furcht hatte Gravelli befallen, als der junge Mann bat, ihm Bericht über die Geschäfte halten zu dürfen. »Natürlich, ja, sehr gern! Aber morgen, nicht heute. Ich fühle mich noch nicht stark genug«, hatte er ihn beschieden. Es war glücklicherweise anders gekommen, als es ihm die Angst in den Stunden bis dahin vorgemacht hatte. Endlich ein Lichtblick! Aber was waren das für armselige Gewinne? Lächerlich, daß er sich mit solchen Kleinigkeiten befassen muß, und dafür auch noch zu einem Danke verpflichtet ist.
Wien frißt alle die kleinen Gewinne wie ein Gespenst auf und verschlingt dazu noch gewaltige Summen des Vermögens.
Wenn man nur wüßte, woran es liegt?
Aber er ist müde, zu feige, ernsthaft nach den Gründen zu forschen.
Luigi Parvisi ist nicht mehr in Genua. Auf Reisen, heißt es. Wohin? Andrea beantwortet die Frage nicht. Vermutungen werden angestellt. So klar und durchsichtig für kluge Geschäftsleute die Unternehmen Parvisis sind, die persönlichen Verhältnisse bleiben für alle hinter einem undurchsichtigen Schleier verborgen. Lange Zeit war das Oberhaupt der Familie spurlos verschwunden, dann tauchte der Totgeglaubte plötzlich gänzlich unerwartet heil und gesund wieder auf. Irgendwelche Geheimnisse sind mit dem alten ehrlichen Haus Parvisi verbunden.
Man möchte gern einen Blick in sie hineintun, doch keinem gelingt es. Wie hinter einer unübersteigbaren Mauer ist das Privatleben Andreas vor der Welt verborgen. Und dabei verkehrt er gesellig mit seiner Gattin in den anderen Familien, empfängt Gäste in seinem Haus. Eigenartig. Achselzuckend unterlassen es die Kaufleute, sich weiterhin um das Dunkel zu kümmern. Um so mehr aber schließen sie sich dem Großkaufmann Parvisi an. Geschäftlich gibt es zusammen mit ihm nie Schwierigkeiten oder unliebsame Überraschungen.
In den Hafenkneipen, vor allem in der »Osteria del ma-re«, bei den Gevattern, weiß man auch, daß der junge Parvisi die Heimatstadt wieder verlassen hat. Die Fischer, Transport- und Hafenarbeiter, Händler, Seeleute rätseln nicht um das vermeintliche Reiseziel Luigis. Für sie steht es fest: Algier. Anders kann es doch gar nicht sein. Das Kind war nicht unter den befreiten Sklaven, also muß der Vater weitersuchen, das ist seine unab-dingbare Pflicht. Alle guten Wünsche der einfachen, geraden Menschen begleiteten ihn dabei.
Übrigens, keiner von der »Astra« ist nach Genua zu-rückgekehrt. Gefangene von anderen Schiffen hat der Lord übergeben. Sie alle wissen Grausiges zu berichten.
Schade, daß Parvisi so wenig erzählt hat. Auch von dem Neger, der Italienisch verstand, war nichts zu erfahren gewesen. Sicherlich sucht Luigi auch noch nach dem alten Diener Benedetto, der ihn und seine Familie damals nach Malaga begleitet hatte. Ob er im Kampf umgekommen ist? Es wurde nicht von ihm gesprochen.
Was man so im Hafen spricht, findet dann auch einmal Eingang bei Gravelli. Camillo erzählt davon; der Bankier hört sich alles ruhig und teilnahmslos an. Später überdenkt er es, und ein kleines Feuer glimmt in den Augen auf.
»Wahrscheinlich – nein, bestimmt, wenn man es recht bedenkt. Die Menschen sind auf dem richtigen Weg«, murmelt er vor sich hin.
Ganz automatisch greift Gravelli zur Feder, taucht sie in die Tinte, lehnt sich im Sessel zurück. Erst genau überlegen! Man schreibt nicht einem Irgendwer, sondern Benelli. Jedes Wort muß abgewogen und entweder un-mißverständlich eindeutig oder dehnbar, viele Hintertü-
ren und Durchschlüpfe
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