Unter Korsaren verschollen
Auftrag Parvisis aus, der im Augenblick zu nichts fähig ist, nur ruhen will.
Eine Herde Schafe nebst einigen Pferden soll der Neger kaufen und sie Alis Vater und den anderen Dorf-angehörigen bringen. Für Ali und Achmed, Livios treue und mutige Freunde, sind zwei erstklassige europäische Flinten und andere wertvolle Geschenke beigefügt worden. Jean Meunier – den Namen Parvisi kennt niemand sonst in La Calle als Roger und die Marivaux – verfügt über große Mittel. Er gilt in dem Städtchen als einer der reichsten Männer. Im übrigen ist er ein Sonderling, ebenso erpicht auf Jagdabenteuer, wie es Pierre-Charles de Vermont war, ungesellig, ein Einzelgänger. Man kümmert sich nicht weiter um ihn.
Wenn der treue Neger zurück sein wird, geht es von neuem auf die Suche nach Livio.
Das Schiff, dem der Genuese sowenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, gehört zu der berüchtigten algerischen Piratenflotte. Der nun tote Omar Pascha hatte das Schiri für Kaperfahrten ausrüsten, vorzüglich bewaffnen und mit einer mutigen und grausamen Besatzung bemannen lassen. Ein junger Mensch, Omar, wurde auf besonderen Befehl dazugegeben.
Dieses Piratenschiff ist gefürchtet im ganzen Mittelmeer, seine Geschichte nicht ganz alltäglich.
Der finstere Kapitän mit den dichten struppigen Au-genbrauen und dem drahtigen schwarzen Bart, den ste-chenden Augen und dem scharfen Zug um die dünnen Lippen war vom ersten Augenblick an der Feind des Jungen. Nichts kann Omar dem Gestrengen recht machen. Es nützt nichts, sich soviel wie möglich versteckt zu halten, der Kapitän hat alle Minuten andere Wünsche.
Schnell! Nie geht es schnell genug, soviel sich der kleine Schiffsjunge auch bemüht. Kein Befehl wird gegeben, ohne daß man Omar gleichzeitig die Peitsche zeigt.
Besondere Anweisungen sind erteilt worden: Härteste Schule, aber beste Ausbildung. Hart, mehr als hart, grausam geht der Reis mit dem Jungen um. Wegen der Ausbildung rührt er keinen Finger. Man erwartet von Omar, daß er einmal ein guter Korsar werde. Wohl einer, der mich später ablösen soll, vermutet der Schiffsführer. Bei dem Schutz, den Omar genießt, ist der Aufstieg des Jungen so gut wie sicher. Nichts zu machen, wenigstens nicht von meiner Seite aus, und der Korsar rührt keinen Finger, Omar seemännisch auszubilden.
Der Dey hatte ausdrücklich Befehl erlassen, die franzö-
sische Flagge zu achten. Noch immer, trotz des Blutba-des von Bona, besteht ein einigermaßen gutes Verhältnis zwischen Algier und Frankreich, das Omar Pascha nicht getrübt sehen möchte.
»Allah verdamme die Christenhunde! Sind sie zu feig, Schiffe das Meer kreuzen zu lassen?« knurrt der Kapitän nach langer, erfolgloser Kaperfahrt. Unendliche Wasser-fläche, kein Segler in Sicht.
»Das Fernglas!« befiehlt er.
Omar, der zum persönlichen Diener des Schiffsführers gemacht worden ist, reicht es hinüber. Anstatt es in die Hand gelegt zu bekommen, muß der Herr die Hand etwas ausstrecken. Das ist zuviel bei der Wut, die seit Tagen auf einen Ausbruch wartet.
»Die Bastonade dem Hund! Treibt ihm die Faulheit aus!« brüllt er auf.
Zwei riesige Mauren stürzen sich auf den Jungen, zerren ihn davon. Gegen die Kräfte der Männer ist Omar machtlos. Er versucht sich loszureißen, ist bereit, über Bord zu springen, um diesem Jammer ein Ende zu bereiten.
Wenig später dringen die Schmerzensschreie des Ge-straften ans Ohr des Kapitäns. Sein Ärger verfliegt. Wenigstens eine kleine Abwechslung in diesem langweiligen Leben ohne Beute. Daß ein Kind deshalb unmenschlich gezüchtigt wird, stört ihn nicht.
Der Schiffsführer ist nicht auf Deck. Die Offiziere sind froh, brauchen sie ja nun nicht die schlechte Laune des Alten über sich ergehen zu lassen. Jetzt haben sie freie Hand; denn auch mit ihnen springt der Reis ganz nach seinem Belieben um.
»Hinauf in den Ausguck, Omar!« befiehlt der Erste.
Die Männer freuen sich, wie der Junge bei jeder Spros-se der Strickleiter stöhnt. Gerade das wollen sie. Sie wissen genau, daß die Wunden der Bastonade noch nicht verheilt sind.
Erschöpft sinkt Omar oben zusammen. Er denkt nicht daran, daß er jetzt eine der wichtigsten Personen des Schiffes ist, daß er eher als jeder andere einen Feind oder zukünftige Prisen erkennen kann. Er will Ruhe haben.
»Omar! Ich schieße dir eine Kugel in den Bauch, wenn du schläfst!« schrillt es herauf. Der Offizier hält die Pistole in der Hand bereit.
Stundenlang steht der Junge unter Schmerzen.
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