Unter Korsaren verschollen
Wirft er einen Blick hinunter, so sieht er, daß immer einer seiner Peiniger ihn beobachtet.
Es gibt kein Entrinnen. Er muß die Zähne zusammenbeißen, durchhalten, bis man ihn ablöst.
Die Augen brennen wie Feuer, die Sonne sticht. Es ist, als liege er auf der Folter.
Plötzlich etwas Fremdes, Störendes in der silbrig glitzernden Ebene.
Omar schließt die Lider. Wie die Augen brennen, die Sterne tanzen, ein Gewirr von schwarzen und roten Fä-
den durcheinanderwirbelt! Endlich kann er wieder klar blicken. Die Erscheinung ist noch da, schon etwas grö-
ßer geworden. Ein Schiff! Vergessen ist alles andere. Ein Schiff. Das wird ihn befreien.
»Schiff auf Backbord!« – Nicht von den Korsaren befreien, aber wenigstens für die nächsten Stunden von den Peinigern, die nun alle Hände voll zu tun haben werden, beendet er den Gedanken.
Langsam nähert sich das fremde Schiff. Im Topp führt es die französische Flagge.
Auch auf dem Kauffahrer hat man zweifelsohne den Korsaren als solchen erkannt. Keine Gefahr also. Die Algerier sind befreundet.
Den Kampf erlebt Omar im Mastkorb.
Es geht schnell, fast ohne Gegenwehr. Der Kapitän hat die Flagge nicht geachtet; der Franzose ist zur Prise gemacht worden.
Eine reiche Beute: Seidenstoffe aus der Levante. Der Dey wird zufrieden sein, der Reis ist es schon. Auch die am Raub beteiligte Mannschaft schmunzelt.
Kurs Algier! Der Franzose folgt, mit einer türkischen Mannschaft an Bord, im Kielwaser.
Allah! Der Dey hat verboten, französische Schiffe zu belästigen oder gar zu kapern. Soll die reiche Beute, das Ergebnis langer Wochen vergeblichen Kreuzens, ins Meer geworfen werden?
Nur noch eine kurze Strecke bis zum Heimathafen.
Der Korsarenkapitän ruft die Offiziere zusammen, teilt ihnen den Befehl des Herrschers mit, den sie ohnehin genau kennen. »Was tun?« fragt er.
Man wird sich schnell einig. Alle erbeuteten wertvollen Waren herüber auf das Piratenschiff. Den Gefangenen die Köpfe abschneiden, das Schiff versenken. Der Mannschaft ist bei Androhung des Todes Schweigen aufzuerlegen.
Das Kauffahrteischiff wird versenkt. Die toten Seeleute finden ihr Grab in den Wellen.
Das Meer schweigt.
Einer vergißt später den Schwur, plaudert von dem furchtbaren Verbrechen.
Der Dey tobt. Tobt, daß seine Ratgeber fluchtartig den Saal verlassen. Einer bleibt ruhig, blickt unbewegt, als habe er nichts gehört oder gehe ihn die Sache nichts an, zum Fenster hinaus: Mustapha, der Renegat. Mag der Dey rasen und brüllen, er fürchtet ihn nicht.
»An die Rahen mit den Burschen!« Es ist niemand da, der den Befehl überbringen könnte, nicht der Vekil-Hardj, der Marineminister, nicht der Tchaouch-Baschi, der Oberhenker.
Überhaupt niemand mehr um den Thron, stellt der Dey verärgert und zugleich befriedigt fest. Man fürchtet ihn also.
Mustapha tritt aus der Nische heraus. »Ich werde den Befehl ausführen lassen, Herr!«
»Gut. Aber schnell!«
»In Kürze wird es geschehen sein!« versichert der Renegat.
Mustapha, den Gravelli als Benelli fürchtet, winkt lässig im Flur einen Großen aus der Umgebung des Throns heran. Der Mann beeilt sich zu folgen. Benelli lächelt.
Vielleicht mehr als vor dem Herrscher zittert man vor ihm in der Kasbah.
Er flüstert dem hohen Beamten etwas ins Ohr. Der hebt die Hand zum Gruß an die Stirn und eilt davon.
Und Benelli lächelt.
»Komm her, Freund!« Mustapha hatte sich Zeit gelassen, bis er den anderen zu sich rief. Es ist diesmal ein hoher Janirscharen-Offizier. Auch er folgt dem Wink sofort.
»Befehl des Deys: Die Mannschaft, sämtliche Offiziere und der Kapitän des Raubschiffes, Mauren, Araber, Neger und Türken« – er gibt den genauen Liegeort des Schiffes im Hafen an – »sind sofort an die Rahen zu knüpfen. Ohne Ausnahme! hörst du. Du haftest mit deinem Kopf, daß das Urteil ohne Verzug ausgeführt wird.«
»Aber«, wagt der Türke einzuwerfen, doch er läßt es bei diesem einen Wort. Es steht einem Untergebenen nicht zu, anders als der Herr zu denken. Am besten ist es, überhaupt nichts zu wollen, nicht zu denken, wenn die Augen Mustaphas auf einen gerichtet sind.
Wortlos kehrt sich der Offizier ab.
Und Benelli lächelt. Er läßt sich einen Tschibuk bringen, macht es sich bequem und wartet, in den Koran vertieft, auf die Meldungen seiner Boten.
Später zeigt er dem Dey die Vollstreckung des Strafge-richts an. Omar Pascha hatte sich inzwischen mit dem Khodgia, dem Geheimen Rat, und dem Beit-el-mal, dem
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