Unter Korsaren verschollen
und her. Sein erster Blick im fahlen Licht des werdenden Tages war zu dem auf hartem, gestampftem Boden liegenden Kameraden gerichtet. Den fest Schlafenden zu wecken, hat er nicht gewagt.
Der Riegel wird zurückgeschoben. Benedetto ist sofort hellwach. Die Bewegungen Omars, das Rascheln von Stroh dagegen haben ihn nicht gestört.
Ein Mann der Palastwache fordert den Italiener auf, ihm zu folgen. Ganz schnell streicht Benedetto über den Kopf des Jungen, drückt ihm die Hand. Es ist ungewiß, ob man sich wiedersehen wird. »Vater!« Aber die Tür ist bereits wieder geschlossen.
Unglücklicher Omar. Kaum, daß sich zwei Menschen ein paar Worte gesagt haben, reißt man sie schon auseinander. Er hatte sich in den Stunden des Wachliegens bereits mit der Lage abgefunden und dem Unglück die gute Seite abgewonnen, die darin bestand, wenigstens nicht allein zu sein. Zu zweit trägt sich das schwere Los besser. Nun ist dieser Lichtstrahl verlöscht. Was wird mir an Schwerem und Bitterem bevorstehen, denkt er.
Kommt man, auch ihn zu holen? Ganz leise dringt Tap-sen von Schritten in den Raum. Einen Augenblick Stille.
Wieder knarrt der Riegel. Also gilt es ihm.
Omar hält die Augen fest geschlossen. Er will nichts sehen, nicht wissen, wer die Tür öffnet.
Aber man fordert ihn ja gar nicht auf, herauszukom-men. Alles bleibt still. Nur ein Geräusch wie anstreifen-des Stroh an der Mauer ist zu hören. Nachsehen, was es ist.
»Vater, Vater!« Omar springt auf, eilt dem Italiener entgegen, der ein großes Bündel Stroh durch die Tür zwängt. Jetzt ist er hindurch. Der Aufseher beeilt sich nicht, die Tür zu schließen, bleibt draußen stehen.
Die Ärmel des schmutzigen Hemds des Gefangenen sind zurückgerutscht. Zufällig sieht es Omar und kann den Blick nicht wieder losreißen. Oberhalb der Handge-lenke sind die Arme des Mannes zerschunden. Nicht frisch blutig gerissen, sondern vernarbt, fleckig.
In diesem Augenblick fühlt Omar ein Jucken und Schmerzen in seinen eigenen, die noch leicht blutunter-laufen sind. Ob auch bei ihm die Eisenketten, mit denen er gefesselt war, für immer Zeichen hinterlassen werden? Ganz schnell senkt er den Blick hinunter zu den Knöcheln des Alten. Dasselbe Bild. Unvergängliche, unabänderliche Zeichen der Sklaverei.
Das Stroh ist für Omar bestimmt. Benedetto hat soviel zusammengerafft wie er nur immer fortbrachte.
Man wird uns also zusammenlassen!
Der Italiener sieht das freudige Aufleuchten in den Augen des Jungen. Omar freut sich, nicht allein bleiben zu müssen. Wie schnell ist der Mensch zufrieden, mit wie Wenigem ist der Unglückliche glücklich.
»Ihr könnt im Garten Spazierengehen, kommt!« fordert der Wächter die Gefangenen auf, als der Italiener das Stroh ausgebreitet hat. »Du, Alter, haftest mit deinem Kopf, daß Omar nicht zu fliehen versucht. Schon der Versuch, denn ein Gelingen ist unmöglich, kostet dich dein Leben.«
»Du hast es gehört, mein Junge.«
»Sei ohne Sorge. Ich werde nicht von deiner Seite weichen.«
Heute schenkt der ehemalige Sklave der Natur in ihrer bunten, jubelnden Schönheit wenig Aufmerksamkeit. Zu seiner Linken geht ein junger, ‘der Freiheit beraubter Mensch. Fast ein Kind noch ist Omar. Er hat den Turban weit in die Stirn gedrückt, so daß das Gesicht nicht voll sichtbar ist.
Zweimal durchwandern sie, ohne stehenzubleiben, die für die Gefangenen erlaubten Wege. Sie sprechen nicht.
Immer mustert der Italiener den Weggenossen von der Seite.
Omar ist hübsch. Tief gebräunt das Gesicht, noch weich in den Zügen. Mehr ist vorerst nicht festzustellen.
Eigentlich müßte er als Araber brauner, von einem ech-teren Braun sein. Ob er ein Mischling ist?
»Dreh dich um, blick mir ins Gesicht, mein Junge«, bittet Benedetto später, als er annimmt, daß der Argwohn des Aufpassers, der sicherlich irgendwo hockt und jeden Schritt und jede Handbewegung bei diesem ersten gemeinsamen Ausgang überwacht, etwas eingeschläfert ist.
Sie stehen sich gegenüber. Der Italiener betrachtet den Jungen.
Was ist an mir? Bin ich ein Dschinn – ein Geist, ein Gespenst? Warum starrt er mich so eigenartig an? Omar hat Furcht. Dieser da, den er Vater nennt, ist ein Europä-
er. Besitzt er den bösen Blick, will er ihm, dem Rechtgläubigen, damit schaden?
Omar? Vor Benedettos Augen verschwimmt die Gestalt. Die fremdländische Kleidung wechselt am Körper des jungen Menschen. Das Gesicht aber bleibt in großen Zügen unverändert. Das sind dieselben leuchtenden
Weitere Kostenlose Bücher