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Unter Korsaren verschollen

Unter Korsaren verschollen

Titel: Unter Korsaren verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Legere
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dennoch an ihm.«
    Das Gesicht des ehemaligen Sklaven hat sich verfinstert. Die Rechte versucht die steilen Furchen der Stirn zu glätten.
    »Magst du nicht weitererzählen, Vater?«
    »Doch, Omar, du mußt alles hören. – Wollte man mir das Leben lassen? Zog man mich nicht zur Rechenschaft für den Tod meines Kettengenossen? Es schien so. Ich erhielt Befehl, die Leiche aufzunehmen und mitzukom-men. Ein schrecklicher Gang mit dem Toten über der Schulter, der noch immer durch die Kette und die Eisen-gewichte mit mir verbunden war. Eine unbeschreibliche Angst befiel mich. Tor, der ich glaubte, mit dem Leben abgeschlossen zu haben, den Tod nicht zu fürchten. Jedes Geräusch in meinem Rücken ließ mich zusammenfahren. Wird man dich hinterrücks erschießen, so fragte ich mich bei jedem Schritt. Ich wartete und wartete, litt entsetzliche Qualen.
    Es geschah nichts. Drüben auf einem anderen Weg zogen die Sklaven zur Arbeit. Für mich und meine erbärmliche Last hatten sie keinen Blick. Mein Schicksal war ihnen gleichgültig. Manche- der Armen waren bereits seit Jahrzehnten in der Sklaverei und hatten alles Mitgefühl verloren. Um es kurz zu machen: Ich mußte, nachdem man die Kette gelöst hatte, den Kameraden in eine Schlucht werfen. Dann ging es ins Lager zurück. Man schenkte mir die Arbeit für diesen Tag. Hätte man es doch nicht getan! Was meiner hier wartete, will ich nicht in allen Einzelheiten beschreiben, obwohl es vielleicht für dich gut wäre, alles zu wissen. Jedenfalls wurde ich fast zu Tode geprügelt. Wochenlang lag ich zerbrochen, zerschunden, krank, in den ersten Tagen unfähig, ein Glied zu rühren. Dann schmiedete man mich an einen neuen Leidensgenossen, einen Portugiesen diesmal.
    Auch ihn riß der Tod von meiner Seite. Wir arbeiteten zu hundert auf dem Feld, beschützt und bewacht von etwa der doppelten Anzahl Aufseher. Plötzlich brach ein Lö-
    we aus dem Busch hervor, stürzte sich auf den Portugiesen und wollte ihn fortschleifen. Der Mann war sofort tot
    – und ich mit ihm unlösbar verbunden! Von allen Seiten stürzten die Wächter herbei und schössen ihre vorsint-flutlichen Flinten auf das Raubtier ab. Erledigt wurde der Löwe nicht davon, aber er räumte verängstigt das Feld.
    Wieder schlug man mich unbarmherzig, der ich auch am Tode dieses Kameraden unschuldig war.«
    »Das war nicht recht!« wirft Omar ein.
    »Wie so vieles nicht richtig ist, was deine Brüder tun, mein Junge! Das Schlimmste geschah mir, als die Sklaven freigelassen wurden. Einer unter eintausendfünfhundert mußte zurückbleiben. Der eine… ich! Was mich damals vor dem Wahnsinn bewahrt hat, ich weiß es nicht. Meine Lage hat sich seitdem zwar gebessert. Die Sklaverei ist in Gefangenschaft übergegangen, aber ich bin nicht frei! Immer wieder quält und peinigt mich die Frage: Warum gerade ich?«
    Benedetto schweigt. Er hat die Faust an die Stirn gepreßt, die Augen geschlossen. Der Atem geht stoßweise.
    Leise, ganz leise, fast hingehaucht spricht er weiter:
    »Ob ich wohl jemals eine Antwort darauf erhalten werde? – Alle von der ,Astra’ waren damals tot. Keiner hat in der Heimat erzählen können, daß noch ein Überlebender des Unglücksschiffs gefangengehalten wird. Ich gelte sicherlich als tot, wie eben alle, die so erbittert gegen die Korsaren gekämpft hatten.«
    »Ich habe auch gekämpft und manchen besiegt!« brü-
    stet sich Omar.
    »Warum, mein Freund?«
    »Warum? – Wieso? Ich verstehe dich nicht.«
    »Mußtest du dich für irgendein Verbrechen an den Europäern rächen?«
    »Nein. Aber sie sind reich. In den Bäuchen ihrer Schiffe befinden sich große Schätze.«
    »Um gleißenden Goldes willen hast du deine Hand gegeben, Menschen zu morden oder unglücklich zu machen.«
    Omar blickt den Alten verwundert an. Er weiß keine Antwort, keine Entgegnung.
    »Dann bist du sicherlich reich, mein Sohn«, spricht Benedetto weiter.
    »Ich habe nie etwas von der Beute bekommen. Ich war ja nur der Schiffsjunge.« Er entsinnt sich plötzlich der Lehren des Marabut und vieler Menschen, die Kampf gegen Andersgläubige als Allah wohlgefällig hinstellten.
    Aber ob das der alte Sklave verstehen wird? Vielleicht aber das: »Kampf ist die vornehmste Aufgabe des Jünglings und des Mannes.«
    »Auch gegen Unschuldige? Sind wir, die Europäer, Räuber, Mörder,
    Piraten, Korsaren? Überfallen wir eure Schüfe? Führen wir deine Brüder in die Sklaverei?«
    »Ich weiß es nicht. Aber sie haben Algier in Grund und Boden

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