Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter Korsaren verschollen

Unter Korsaren verschollen

Titel: Unter Korsaren verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Legere
Vom Netzwerk:
fast hinaufziehen und schieben.
    Der Kapitän braucht erst einmal Ruhe. Er wirft sich sofort auf die Kissen, schließt die Augen, aber schläft nicht. Er ist zu erregt. »An einem Faden hing mein Leben«, murmelt er später.
    Benedetto, der am Boden hockt und den jungen Landsmann die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen hat, schiebt ihm nun das Abendessen hin.
    »Iß, und dann erzähle«, bittet er.
    Aber das Essen wird nicht angerührt.
    Plötzlich richtet sich Omar auf, fragt: »Wer bin ich? Ich bin kein Araber, kein Berber, kein Maure!«
    Soweit ist er also gekommen, denkt der Italiener. »Seit wann weißt du es?« forscht er vorsichtig.
    »Schon während unserer letzten Unterredung im Lager Scheik Osmans ist es mir fast klargeworden. Ich habe mich dagegen gewehrt, bin mit allen Kräften gegen diese schreckliche Erkenntnis angegangen. Sie blieb. Immer noch glaubte ich, der Wahrheit entfliehen zu können; deshalb fragte ich vor der letzten Reise nicht so. Jetzt kann ich nicht mehr. Ich muß es wissen. Nur du allein, Benedetto, magst sagen können, wer ich bin. Bitte, nenne mir meinen richtigen Namen!«
    »Du bist Livio Parvisi, der Sohn meines Herrn, der auf der ,Astra’ erschlagen wurde.«
    »Livio Parvisi? An Livio kann ich mich erinnern, an Parvisi nicht. Livio Parvisi, wie fremd das klingt. Und –
    mein Vater ist tot? Ich habe keinen Vater?! Oh!« Er vergräbt das Gesicht in den Händen. Keinen Vater zu haben, erscheint dem grausamen Korsarenkapitän als das Furchtbarste, das er sich denken kann. Es dauert eine Weile, bis er sich etwas beruhigt hat und sich wieder an den alten Freund wendet: »Warum hast du mir meinen Namen nicht seinerzeit gesagt, als ich dein Mitgefangener war?«
    »Einmal war auch ich noch unsicher, zum anderen –
    hättest du es geglaubt?«
    »Nein.«
    »Leider hatte ich versäumt, dich schon bei unserem ersten gemeinsamen Ausgang nach deinen frühesten Ju-genderlebnissen zu fragen. Wenigstens ich wäre in meiner Vermutung bestärkt worden.«
    »Und du hättest mir die Wahrheit beweisen können.«
    »So dachte ich später auch, Livio. Aber es war nicht richtig. Einem Omar kann man nicht mit Worten kommen. Erkennt er selbst die Wahrheit, dann ist es gut. Du hast bald geahnt, kein Sohn dieses Landes zu sein, und doch weiter als Korsar gekämpft. – Was soll nun werden, Livio?«
    Der junge Mann läßt die Arme sinken. Er weiß keine Antwort auf diese Frage. Dann stellt er fest: »Ich bin Korsar.« Unendliche Traurigkeit liegt in diesen drei Worten. Es ist, als ob mit der Aufgabe dieses Berufs das Leben wertlos werden würde.
    »Laß mich für dich entscheiden, Livio«, bittet Benedetto Mezzo. »Wir kehren zusammen in die Heimat zu-rück.«
    »Unmöglich, mein Freund. Ich, der ich so viel Unglück gebracht habe, soll jetzt mitten zwischen Menschen leben, die ich an Leib und Gut schädigte? Es geht nicht.
    Ich kann nicht die Hände in den Schoß legen oder einen Pflug durch das Land ziehen oder Herden hüten. Ich brauche den Kampf, den Reiz, meine Kräfte und mein Können mit anderen zu messen!«
    »Es wird dich eines Tages den Kopf kosten. Nicht immer findet sich im letzten Augenblick ein Retter.«
    »Dann wäre wenigstens alles aus. – Nein, Vater, ich bleibe! Kehre du heim. Du bekommst von mir Reichtü-
    mer mit, die dir erlauben werden, als wohlhabender Mann zu leben.«
    »Geraubtes Gut! Ich nehme nicht eine Zechine von dir, Livio!«
    »Allah verfluche dich, Alter! Was dann?« braust der Korsar auf. »Du wirst nehmen, was ich dir gebe. Ich aber werde meinen Weg weitergehen. Ich bin Omar! Wehe dem, der mich daran hindern will!«
    Ja, das ist der wilde Omar wieder, stellt Benedetto Mezzo betrübt fest. Ein junger Mensch, der den Kampf, die Gefahr mehr liebt als sein eigenes, besseres Ich, das soeben einmal zum Durchbruch kommen wollte. Vorbei ist der Augenblick, der Omars Leben eine andere Richtung hätte geben können. Der Sohn Luigi Parvisis ist für Europa verloren. Livio ist Renegat, ein Abtrünniger.
    »Komm mit mir, Livio!« wagt der Italiener noch einmal zu bitten.
    »Nein. Aber du geh, ehe ich anderen Sinnes werde und dich nicht mehr von mir lasse!« befiehlt der Korsar.
    »Ich sagte dir vor langer Zeit, daß kein Mensch auf mich wartet. Ich bleibe, Omar!«
    »Wie du willst! Geh oder bleibe, es kümmert mich nicht.« Plötzlich kommt dem Alten ein Gedanke, kühn, abwegig, furchtbar.
    »Livio! Bleibe der Korsar Omar! Bleibe es, ich wünsche nicht mehr, daß du

Weitere Kostenlose Bücher