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Unter Korsaren verschollen

Unter Korsaren verschollen

Titel: Unter Korsaren verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Legere
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mit seiner Begleitung wieder in der Stadt. Der erste Schritt zur Vernichtung Parvisis ist getan. Für den Bankier besteht kein Zweifel, daß der Herr der Berge die Vereinbarung halten wird.
    Daß er ihn erkannte – verflucht! Unter Umständen könn-te der Brigant ein zweiter Benelli werden, vielleicht sogar schlimmer als der Renegat, wenn er auf Erpressung ausginge. Ein Glück, daß der Maskierte das Gold nicht genommen hat und die ganze Unterhaltung ohne Zeugen geführt worden ist. Sollte er es dennoch wagen, bah, ein Wort an den Polizeichef Genuas, der bestechlich wie die meisten Beamten ist, und dem Treiben des Herrn der Berge ist ein Ende gesetzt.

    GEFANGEN
    Noch bleibt die Möglichkeit, daß Luigi, Livio und Raffaela am Leben sind, wenn auch als Sklaven in der Hand eines der nordafrikanischen Herrscher.
    Der unglückliche Vater hat sich in diese Ungewisse Hoffnung verbissen. Je mehr er sich mit ihr beschäftigt, um so stärker wird der Glaube, daß es so und nicht anders sein muß. Wenn es keine trügerische Annahme ist, wird sich ein Weg finden, die Lieben freizukaufen. Mag der Preis auch ungeheuer hoch sein, Leben ist mehr wert als alles Gold der Erde. Das Haus Parvisi ist reich, sehr reich. Auch der letzte Bajocco wird ohne Zögern und Feilschen darangesetzt werden. Bettler dann? Ist einer Bettler, der mit den Liebsten vereint ist? Niemals.
    Stundenlang grübelt der Kaufmann, bis ihn die Müdigkeit endlich überwältigt.
    Die Dienerschaft weiß noch nichts von dem schweren Verlust, der den Herrn betroffen hat. Auf de Vermonts Rat hin hat Parvisi bisher kein Wort verlauten lassen.
    Am klügsten erscheint es dem Franzosen, wenn der Kaufmann die Stadt für einige Zeit verläßt, um schneller über den ersten Schmerz hinwegzukommen.
    »Darf ich Ihre Güte noch weiter beanspruchen, Herr de Vermont?« wendet sich Andrea Parvisi am Morgen nach dem verhängnisvollen Tag an seinen Gast. »Ich möchte Sie bitten, mir auf mein Landgut in den Bergen zu folgen. Dort sind wir ungestört und können vielleicht Mittel und Wege finden, um genauere Auskunft über das Schicksal meiner Kinder zu erhalten. Bitte, lehnen Sie nicht ab.«
    Es verstreichen einige Minuten, ohne daß sich der Franzose dazu äußert. Parvisi beobachtet den neuen Freund –
    die wenigen Stunden des Zusammenseins haben die gleichaltrigen Männer wegen ihrer ähnlichen Lebensauf-fassung zu solchen gemacht – ängstlich. »Ich begleite Sie.«
    Der Kaufmann fühlt sich um vieles erleichtert, als er diese Zusicherung hört. Er weiß bereits manches über die Verhältnisse seines Gastes. Xavier de Vermont ist Großkaufmann und wesentlich an der Korallenfischerei an der algerischen Küste in La Calle beteiligt. Frankreich ist einer der wenigen Staaten, die in einigermaßen erträg-lichem Zustand mit den Barbaresken, vor allem mit der gefährlichen Republik Algier, leben. Französische Schiffe werden im Mittelmeer nicht von den Korsaren be-lästigt. Trotzdem ist der Bund zwischen Frankreich und dem Dey nicht ungetrübt. Immer wieder verletzt der Fürst die Ehre Frankreichs, und es bedarf großer Ver-handlungskunst und kostspieliger Geschenke, um die Zwischenfälle vergessen zu machen.
    »Würde es Ihnen recht sein, in den späten Nachmittags-stunden aufzubrechen? Ich brauche noch etwas Zeit, um meinen Geschäftsführer und andere Angestellte anzu-weisen. Wir werden dadurch zwar übernachten müssen, aber ich kenne eine gute Herberge, die sicherlich auch Ihre Ansprüche befriedigen wird. Morgen sind wir am Ziel.«
    »Treffen Sie die Vorbereitungen ganz wie Sie es für richtig erachten. Ich bin mit allem einverstanden.«
    Dem Kutscher ist gesagt worden, den Wagen für eine längere Fahrt zu richten. Mit Eifer ist er nun dabei, ihn auf Hochglanz zu polieren. Jedermann soll an dem vorzüglichen Gefährt mit den feurigen Rappen erkennen, daß ein bedeutender Bürger Genuas der Besitzer ist und der Fahrer ein tüchtiger Kerl.
    Über den Kuhmarkt, durch das San-Thomas-Tor, entlang den Hafenbefestigungen, durch die Vorstadt San Pietro d’Arena nimmt der Wagen Parvisis denselben Weg, den in der Nacht Gravelli gefahren ist.
    Die Reisenden schweigen. Das Holpern und Schütteln der Kutsche auf der schlechten Straße gestattet keine Unterhaltung. Parvisis Mienen sind verdüstert; seine Gedanken sind in weite Ferne gerichtet, in eine Ferne, sonnüberströmt, unendlich herrlich und doch finster wie nirgends sonst: die afrikanische Küste, die von Barbaren beherrscht ist.

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